Jenseits von Timbuktu
aber Lia ist ein anderes Kaliber. Ich habe sie immer für freundlich, ausgeglichen und sehr zurückhaltend gehalten. Die Furie, die uns mit dem Gewehr bedroht hat, kann ich nicht einschätzen. Wer weiÃ, wie weit sie gehen würde.«
Ich weiÃ, wie weit ich gehen werde, um meine Kinder zu schützen, dachte sie im selben Moment. Bis zum ÃuÃersten. In jeder Beziehung. Der Gedanke trug nicht dazu bei, ihre Bedenken zu zerstreuen.
Wilson hinter ihr räusperte sich. »Jill, mach dir keine Sorgen. Das wird kein Problem sein.«
Jill bewegte die Schultern, als fröre sie, drehte sich aber nicht zu ihrem Leibwächter um. Ihr war klar, was er damit meinte. In der Vergangenheit war sie, wie so viele in Südafrika, häufig mit Gewalt konfrontiert und mehr als einmal gezwungen gewesen, sich mit einer Waffe zu schützen. Und sie hatte auch schon auf einen Menschen geschossen. Es waren die Zeiten gewesen, als sie auf Inqaba hinter meterhohen Zäunen, die mit elektrischen Drähten verstärkt waren, leben musste, bewacht von ihren abgerichteten Dobermännern und einem Dutzend bewaffneter Sicherheitsleute, die Zeiten, wo ihr eigenes Gewehr stets griffbereit gewesen war, auch nachts.
Schon ihr Vater hatte ihr beigebracht zu schieÃen. Das war in diesem Land keine besondere Eigenschaft. Auf einer Farm wie ihrer war es eine Notwendigkeit, und sie konnte es eben. Wie Reiten oder Spurenlesen und Kochen. Aber gegen Lia, die ihren Sohn verteidigte, war die Konfrontation mit den betrunkenen Kerlen, die ihre Hahnenkämpfe mit Ferrari und Lamborghini austrugen, ein Kinderspiel gewesen. Es war das erste Mal, dass ihr von einer Frau  â dazu auch noch von einer weiÃen Frau  â eine derartige Aggression entgegengebracht wurde. Ihr kam es plötzlich so vor, als würde sie in den Krieg ziehen. Gegen eine Ãbermacht. Ãberraschend überfiel sie eine lähmende Hilflosigkeit. »Ich habe ein ganz dummes Gefühl«, murmelte sie, während sie sich mit beiden Händen am Haltegriff festhielt. »Vielleicht hätten wir doch die Polizei einschalten sollen. Die Sondereinheiten sind in letzter Zeit oft erfolgreich gewesen, und vor allen Dingen fackeln sie nicht lange â¦Â« Unentschlossen lieà sie den Satz in der Luft hängen.
»Du meinst, dass die erst schieÃen und dann fragen, wer es war und was er wollte? Und unsere Kira ist dann im Kreuzfeuer? Nur über meine Leiche!«, raunzte er.
Jill zuckte zusammen und biss sich auf die Lippen. Nils schaltete mit heftiger Bewegung in den ersten Gang herunter, holte tief Luft, beherrschte sich sichtlich, und lenkte den Geländewagen vorsichtig durch die gelben Schlammfluten, musste immer wieder gegensteuern, weil die Räder wegrutschten. Plötzlich landete der rechte Vorderreifen in einem Loch, der Wagen legte sich schlagartig auf die Seite, und Jill stieà sich den Kopf am Türrahmen. Nils fluchte laut und bilderreich, ehe er die Tür öffnete und hinaus in den strömenden Regen kletterte.
»Wilson«, brüllte er. »Raus mit dir, wir müssen das Rad ausgraben. Dirk, du holst Zweige, am besten Palmwedel, und unterfütterst das Rad. Jill, setz du dich hinters Steuer. Aber wir brauchen hier Licht. Man kann ja die Hand nicht vor Augen sehen.«
Während Jill den Handscheinwerfer auf das versunkene Rad hielt, schnappte sich Dirk ebenfalls einen. Er watete durch die Schlammpfützen am Wegrand, stolperte über Geröll und griff in Dornen, aber lieà sich davon nicht aufhalten. Er riss alle Zweige ab, deren er habhaft werden konnte, und kehrte mit einem Armvoll zurück. »Palmen gibtâs hier nicht«, sagte er.
»Das ist nicht genug«, sagte Nils, worauf Dirk wieder lostrottete.
Es dauerte fast zehn Minuten, bis das Loch nach vorn vergröÃert und ausgeebnet war. AnschlieÃend belegten sie zu dritt den rutschigen Untergrund mit Zweigen, unterfütterten auch das andere Vorderrad und die hinteren Räder. Jill saà bereits auf dem Fahrersitz, umklammerte das Steuerrad mit regennassen Händen, den Zeitdruck im Nacken.
Endlich traten die drei Männer zurück, und auf Nilsâ Zeichen hin schaltete sie den Motor an. Sie musste unversehens an ihren
Besuch bei ihrer Familie in Bayern denken, wo sie im winterlichen Bayerischen Wald beim ersten Glatteis ihres Lebens im Graben gelandet war. Um herauszukommen, hatte sie den Gashebel bis auf
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