Jenseits von Timbuktu
links.
Jills Herzschlag geriet ins Stolpern. »Wunderbar. Und wo ist sie, Liebling?«
»Sie holt ihren blöden Gockel. Jemand hat ihn geklaut.«
»Was?« Jill starrte ihn völlig perplex an. Bei dem Gockel handelte es sich um ein klägliches männliches Exemplar der Gattung Huhn mit dem Namen Jetlag, den er sich eingehandelt hatte, weil er meist mitten in der Nacht krähte. Kira hatte ihn irgendwo aufgegabelt und liebte ihn abgöttisch, obwohl er nichts Hübsches an sich hatte. Eine kahle Stelle zog sich um seinen mageren Hals, das Federkleid war struppig, und von dem wohl
einstmals stolzen Schwanz hingen nur noch zwei mattgrüne Federn herunter. Der Kamm, den er sich bei einem früheren Kampf eingerissen hatte, hing ihm verwegen über ein Auge. Sein Anblick hatte Jill veranlasst, spontan vorzuschlagen, ihn als Suppenhuhn zu kochen. Kira hatte sie tagelang mit wütender Nichtachtung gestraft.
Wer um alles in der Welt würde so ein jämmerliches Tier stehlen wollen?
»Luca, wer hat Jetlag geklaut?« Forschend sah sie ihren Sohn an, aber als der herumdruckste, setzte sie ihn ab, nahm ihn bei der Hand und führte ihn hinaus auf die Veranda. Vielleicht würde ihm da einfallen, in welche Richtung seine Schwester gelaufen war.
Luca sah sich vage um und zuckte mit den Schultern. »Weià ich nicht. Irgendjemand.«
Die gewichtige Gestalt Nellys erschien in der Tür. Lucas entdeckte sie sofort. Aufgeregt strampelnd versuchte er, sich von seiner Mutter zu lösen. »Ich hab Hunger, und Nelly hat mir Pfannkuchen mit Blaubeeren gemacht, und der wird jetzt in der Küche kalt«, protestierte er und zog eine niedliche Schippe und blinzelte sie dabei an.
Aber dieses eine Mal lieà sich seine Mutter nicht von ihm einwickeln. »Luca, es ist sehr wichtig, dass du genau darüber nachdenkst. Wohin ist Kira gegangen? Bitte, mein Liebling, gib dir Mühe. Es könnte sein, dass deine Schwester in Gefahr ist.«
Sie saà wie auf Kohlen, während die Sekunden verrannen und Luca nur angestrengt die Stirn runzelte, einmal kurz in der Nase bohrte und anschlieÃend den Daumen in den Mund steckte. Antworten tat er nicht.
Nelly humpelte heran. »Luca, du sollst nicht am Daumen lutschen. GroÃe Jungs tun das nicht.« Ihr Atem ging pfeifend, ein sicheres Zeichen, dass sie sehr aufgeregt war, weil ihr Asthma dann deutlich schlimmer wurde. »Habt ihr itshitshi lami , mein
kleines Mädchen, gefunden, Jilly?«, ächzte sie und wischte sich mit dem Handrücken den Schweià vom Gesicht.
Jill schüttelte den Kopf. »Nein, noch nicht. Aber es sind alle Männer von Inqaba unterwegs und suchen sie. Ich ⦠ich erwarte jede Sekunde den Funkspruch, dass man sie gefunden hat â¦Â« Sie brach ab, weil sie selbst hörte, wie läppisch das klang.
Nelly nickte und humpelte hinüber zum Geländer, verschränkte die Arme unter ihrer gewaltigen Brust und bohrte ihre Augen ins sonnengefleckte Grün, als könnte sie auf diese Weise Kira herbeizaubern. Ihre runden Schultern hoben uns senkten sich heftig.
Jill lieà ihren zappelnden Sohn aus den Armen auf den Boden gleiten, ging vor ihm in die Hocke und legte beide Hände um sein Gesicht. »Mein Schatz, das ist jetzt sehr, sehr wichtig. Hast du gesehen, wo Kira hingelaufen ist? Bitte denk nach, tu es für deine Schwester.«
Lucas starrte an ihr vorbei ins Leere, zog eine Schnute und bewegte dann nachdenklich die Schultern. Seine kleine, rosa Zunge erschien, wanderte über die Lippen und schlüpfte wieder zurück. »Nö«, sagte er und bedachte sie mit jenem Blick, der sie sonst sofort dahinschmelzen lieÃ. Schräg von unten und so himmelblau wie der seines Vaters. »Bist du jetzt böse?«
»Nein, Liebling, natürlich nicht.« Sie drückte ihn an sich, damit er nicht merkte, wie verzweifelt sie in Wirklichkeit war. »Aber wenn dir noch etwas einfällt, musst du es mir sofort sagen. Nelly kann mich dann anrufen, okay?«
»Okay, Mami. Kann ich jetzt meinen Pfannkuchen essen?«
Jill nickte niedergeschlagen, und der Kleine wirbelte unbekümmert davon.
Nelly drehte sich um. Ihre kohlschwarzen Augen glühten, schienen aber ihr Gegenüber nicht wahrzunehmen. »Ich glaube, es gibt jemanden auf Inqaba , der hier nicht hergehört.«
Jills Puls schoss hoch. Aufgeregt sah sie ihre alte Nanny an.
»Was meinst du damit? Hast du
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