Jenseits von Timbuktu
eigentlich?« Er sah Dirk Konrad rot vor Wut an. »Versuchter Mord? Totschlag?«
»Wohl nicht«, antwortete der Kameramann. Trotz der schlimmen Lage konnte er sich ein Grinsen kaum verkneifen. »Grobe Fahrlässigkeit vielleicht, und sicher gibt es hier auch Hygienevorschriften für Restaurants. Da könnte man ansetzen. Reg dich ab, das hilft nichts, sondern schadet nur deinem Blutdruck. Und der dürfte schon im Gefahrenbereich Tiefrot sein.«
»Ha!« Flavio Schröder stampfte davon, zog sein Mobiltelefon hervor und begann mit wütenden Gesten eine Nummer einzutippen, brach das Vorhaben aber gleich wieder ab und wandte sich Dirk zu. »Du kennst doch Nils Rogge von Inqaba . Ruf auf der Lodge an, und bring denen bei, dass der gröÃte Teil unseres
Teams kotzend im Krankenhaus liegt und vorerst nicht kommt  â verdammt!«, schrie er und versetzte seinem Koffer einen Kick, dass er umstürzte.
Dirk holte sein Handy hervor, hielt dann aber kurz inne. »Anita, Sie sind doch ebenfalls auf Inqaba eingebucht, nicht wahr?«
»Ja«, antwortete sie kurz. »Ich bleibe vorerst eine Woche dort.«
Neugierig musterte Dirk sie. »Was wollen Sie eine ganze Woche allein im Wildreservat machen? Irgendwann hat man doch alle Tiere zu Gesicht bekommen, alle Geschichten der Ranger und der anderen Gäste bis zum Ãberdruss gehört und jeden Abend dem Personal zugesehen, das Stammestänze vorführt.«
Anita zuckte die Schultern, hatte aber nicht vor, ihm vom Inhalt der Schatulle zu erzählen, von der Geburtsurkunde einer Cordelia Mbali Carvalho, geboren 1952 in KwaZulu Natal, Mutter Anna-Dora Carvalho geb. Lorentzen, Vater Rafael Carvalho, und dass diese Frau, die einen Zulunamen trug, demnach ihre Schwester sein musste. Dass sie keine Ahnung hatte, ob diese Cordelia helle oder dunkle Haut hatte. Ob sie noch dort lebte. Wenn sie überhaupt noch lebte.
Ganz bestimmt würde sie ihm auch nicht erzählen, dass sie seit dem Fund der Kassette immer wieder von den Bildern einer bestimmten Szene heimgesucht wurde. Einer Erinnerung, die sie über die Jahre so tief in sich vergraben hatte, dass es ihr beinahe gelungen wäre, sie ganz zu verdrängen. An Bouba. Er kam aus dem Senegal, seine Haut war ein goldenes Mahagonibraun gewesen, und er hatte diese unglaublich weiÃen Zähne gehabt, die Afrikanern eigen zu sein schienen. Wie sie studierte er in Hamburg. Er sah sehr gut aus, war musisch hochbegabt und faszinierte sie. Eines Abends hatte er sie zu einem Jazzkonzert abgeholt, ganz harmlos, nur weil es auf seinem Weg lag. Ihre Mutter, die sonst jeden ihrer Freunde mit Herzlichkeit begrüÃte, hatte Bouba
mit eisiger Feindseligkeit behandelt. Anita hatte sie zur Rede gestellt.
»Was hast du gegen Bouba?«
Ihre Mutter hatte ein paar Atemzüge lang schweigend vor sich hin gestarrt. Ihr Gesicht trug einen so fürchterlichen Ausdruck, dass Anita erschrocken zurückgefahren war.
»So einer ist nichts für dich«, hatte ihre Mutter schlieÃlich geflüstert. Mehr nicht.
Anita glaubte, dass ihre Mutter Bouba falsch eingeschätzt hatte, dass sie annahm, er sei faul und ein Sozialparasit. Sein Vater sei Diplomat, hatte sie ihr vorgehalten, und Bouba ein sehr kultivierter Mann, der mit seinem Ingenieurstudium schon fast fertig sei. Aber selbst diesen Argumenten begegnete ihre Mutter nur mit einem kurzen, wortlosen Schulterzucken. Auch später war es Anita nie gelungen, sie zu einer Erklärung zu bewegen.
Weiterhin hatte sie auch nicht vor, Dirk Konrad zu erzählen, dass sie nur nach Zululand reiste, um herauszufinden, ob es diese Cordelia noch gab und ob sie wirklich ihre Schwester war. Dazu war sie viel zu aufgewühlt. Obwohl sie sogar den Boden der Kassette in der Hoffnung, dass dort noch etwas verborgen wäre, mit einem MeiÃel aufgestemmt hatte, hatte sie sonst nichts gefunden. Ihre Mutter hatte ihr kein Wort, keinen weiteren Hinweis, was es mit dieser Geburtsurkunde auf sich hatte, hinterlassen.
»Ich werde viel fotografieren, schlieÃlich habe ich noch nie Löwen oder Elefanten in freier Wildbahn gesehen«, sagte sie endlich.
Nach einem weiteren forschenden Blick wählte Dirk Konrad die Nummer von Inqaba .
Jill nahm den Anruf in ihrem Büro an, und er erklärte ihr, welches Missgeschick das Team befallen habe.
»Ach, du liebe Güte, das wirbelt ja wirklich alles durcheinander!« , rief die
Weitere Kostenlose Bücher