Jenseits von Uedem
Computer.«
Es klopfte, und die Tür wurde aufgezogen: Dr. Stein.
»Tag miteinander.« Er suchte sich schnell einen freien Platz.
»Lassen Sie sich nicht stören. Machen Sie einfach dort weiter, wo Sie gerade sind. Herr Heinrichs hat mich schon über die grundlegenden Fakten informiert.«
So war er, knapp, präzise, immer ein bißchen in Eile.
»Gut«, lächelte Toppe. »Was gibt's bei dir, Walter?«
Heinrichs lehnte sich gemütlich zurück und faltete die Hände unter dem Bauch. »Wir wissen ja alle, daß ein Mord sich fast immer aus einer zwischenmenschlichen Konfliktsituation heraus entwickelt, daß die meisten Morde spontan passieren. Sie geschehen aus einer starken Erregung heraus, wobei Aggression, Wut aber auch Angst eine Rolle spielen. Bei einem Giftmord allerdings sieht das ganz anders aus: ein Giftmord ist immer ein heimtückisch geplanter Mord. Der Täter sieht sich gezwungen, jemanden zu beseitigen, der ihm lästig ist oder der ihm gefährlich wird. Bei einem Giftmord ist es für den Täter unerläßlich, daß er seine Gefühle unter Kontrolle hat, denn Angst oder jede andere starke Erregung würde das Gelingen seiner Tat in Frage stellen.«
Van Appeldorn schlug mit der flachen Hand auf die Tischplatte. »Ich bitte dich, Walter, willst du uns hier allen Ernstes eine Vorlesung halten über den Quatsch, den sie uns in der Ausbildung als Kriminalpsychologie verkauft haben?«
Aber Heinrichs ließ sich nicht aus dem Konzept bringen. Er war an derartige Reaktionen gewöhnt. Schon von Kindheit an hatte er sich für Kriminalistik interessiert, und noch heute war ihm sein Beruf gleichzeitig sein liebstes Hobby. Er besaß eine beinahe lückenlose Bibliothek, und manchmal waren seine Gedanken für die Aufklärung eines Falles durchaus hilfreich gewesen. »Ausgesprochen selten«, pflegte van Appeldorn, der ungern Zeit verlor, zu betonen. Toppe sah das anders: er hörte Heinrichs gern zu und wußte, daß er in den letzten Jahren eine ganze Menge dabei gelernt hatte.
»Dem Giftmord geht meist eine lange Phase der Überlegung voraus: Wie kann ich es machen, ohne entdeckt zu werden? Welches Gift nehme ich? Und da wird es für uns interessant. Knollenblätterpilz als Mittel zur Tötung ist sehr ungewöhnlich. Es hat in der gesamten Geschichte des Giftmordes nur eine Handvoll Knollenblätterpilzvergiftungen gegeben. Dieses Gift schränkt den Kreis der Verdächtigen erheblich ein. Es muß sich um eine Person handeln, die sich gut mit Giften auskennt. Ich warte übrigens gespannt auf Bonhoeffers Bericht. Knollenblätterpilz ist ja noch lange nicht gleich Knollenblätterpilz. Manche sind schnellwirkend, manche sehr langsam.«
»Bonhoeffer meinte, te Laak müsse das Gift ca. sieben bis zehn Stunden vor seinem Tod zu sich genommen haben«, erklärte Toppe.
»Aha! Nun, dann dürfte es sich mit größter Wahrscheinlichkeit um Amanita verna handeln, den Kegeligen Wulstling. Der wächst bevorzugt unter Nadelbäumen, und zwar zwischen Juli und September.«
»Eben«, sagte Astrid. »Wir haben Februar.«
»Das macht nichts.« Heinrichs war auf alles vorbereitet.
»Den Kegeligen Wulstling kann man trocknen und pulverisieren. Man kann ihn sogar einfrieren, denn die toxischen Substanzen sind hitze- und kältebeständig. Schon weniger als ein halber Hut ist völlig ausreichend, einen Erwachsenen aus den Pantinen zu hauen, und die Letalität liegt bei über siebzig Prozent.«
»Wenn der Täter den Pilz schon vor einem halben Jahr gesammelt und dann irgendwie konserviert hat«, überlegte Astrid, »muß er den Mord aber schon sehr lange geplant haben.«
»Wer weiß, vielleicht hat der ja immer einen Vorrat in der Kühltruhe - für alle Fälle, gewissermaßen«, feixte van Appeldorn.
Aber Heinrichs blieb ganz ernst. »Ich weiß es nicht. Ich bin wirklich gespannt, was in Bonhoeffers Bericht steht. Alle bisher bekannten Vergiftungen mit dem Kegeligen Wulstling passierten durch das Verabreichen eines frischen Pilzgerichts. Wenn jemand das Zeug konserviert, dann muß er sich verflucht gut auskennen ...«
»Es kann doch aber auch sein, daß das Ganze ein Versehen war, ein Unfall, oder?« fragte Astrid in die Runde. »Ich meine, er kann doch irgendwo ein aufgetautes Pilzgericht gegessen haben, das versehentlich vergiftet war.«
»Klar«, nickte Toppe, »aber da müssen wir Bonhoeffers Bericht abwarten. Pilze lassen sich noch sehr lange im Darm nachweisen.«
»Ich hätte da vielleicht was.« Astrid ging zum PC rüber.
»Aber
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