Jeremy X
Ungefähr dreißig Prozent der Bevölkerung von Mesa waren frei geborene Bürger, und diesen stand ein breites Spektrum an Rechten und Freiheiten zu, durch das Gesetz geschützt und sogar respektiert - meistens zumindest. Die Regierung von Mesa war keine echte Diktatur, die ohne jegliche Hemmungen und Hindernisse hätte handeln können. Wie viele starre Kastensysteme in der Geschichte, in denen es eine relativ große Oberschicht privilegierter, freier Bürger gab - das Apartheids-System aus Südafrika war ein allgemein bekanntes Beispiel dafür - basierte die Regierung von Mesa auf einer Mischung aus demokratischen und autokratischen Strukturen und Handlungsweisen.
Die gleichen demokratischen Freiheiten standen aber natürlich nicht auch den verbleibenden siebzig Prozent der Bevölkerung zu. Sechzig Prozent der Gesamtbevölkerung von Mesa waren Sklaven, die restlichen zehn Prozent Nachfahren von Sklaven, die zu einem früheren Zeitpunkt in der mesanischen Geschichte auf die eine oder andere Weise die Freiheit erlangt hatten.
Anfänglich hatte Manpower stets behauptet, Gensklaven seien in Wirklichkeit ›vertragsgebundene Kontraktarbeiter‹. Diese Fiktion hatte man schon vor Jahrhunderten fallen lassen - als in die mesanische Verfassung ein Zusatz aufgenommen wurde, der das Freilassen von Gensklaven rechtswidrig machte. Doch damit blieb immer noch eine beachtliche Anzahl von Bürgern, die befreite Ex-Sklaven waren - und sie waren rechtlich gesehen echte Bürger zweiter Klasse (im Alltag wurden sie auch völlig selbstverständlich als ›Zweier‹ bezeichnet) -, die in sämtlichen Städten und Kleinstädten von Mesa lebten, manche sogar in den eher ländlichen Regionen.
Hin und wieder wurde gefordert, diese Zweier aus dem System zu vertreiben. Doch mittlerweile waren die Zweier ein fester Bestandteil der sozialen und wirtschaftlichen Strukturen und erfüllten eine ganze Reihe nützlicher Aufgaben für die freigeborenen Bürger des Planeten. Wie es schon immer in der Geschichte der Menschheit gewesen war, erwies es sich als schwierig, eine große Anzahl von Ex-Sklaven auch wieder loszuwerden, und das aus den gleichen Gründen, wie bei illegalen Einwanderern. Menschen waren nun einmal kein Vieh, und erst recht keine trägen Felsbrocken. Sie waren intelligent, selbstmotiviert und oft äußerst einfallsreich. So ziemlich die einzige effektive Möglichkeit, eine derartige große Menge von Leuten loszuwerden, bestand darin, sich einer politischen und rechtlichen Struktur zu bedienen, die gelegentlich als ›totalitär‹ bezeichnet wurde.
Aus einer Vielzahl von Gründen war Mesa nicht bereit, diesen Weg zu beschreiten. Daher behielten die Sicherheitskräfte die Zweier einfach besonders gut im Auge - soweit sie das eben konnten. Das war nicht ganz so einfach, wie es klang, denn die Zweier-Gesellschaft war sozial betrachtet sehr komplex und oft nicht leicht zu durchschauen, und zudem war sie mit der Gesellschaft der freigeborenen Bürger von Mesa eng verflochten. Eheschließungen zwischen den beiden Schichten waren gesetzlich untersagt. Aber so sehr Manpower auch vorspiegeln mochte, ihr Ziel sei es, neue Arten von Menschen zu schaffen, die Natur des Menschen ließ sich doch nur sehr schwer verändern. Es gab alle möglichen Formen persönlicher Beziehungen zwischen Zweiern und Freigeborenen, ganz egal, was das Gesetz dazu sagte oder was die offiziellen Gepflogenheiten verboten oder missbilligten.
Eine größere Vielzahl an Beziehungen war geschäftlicher, nicht persönlicher Natur. Die riesige Sklavenbevölkerung auf Mesa musste versorgt werden, und es erwies sich - wieder ganz im Widerspruch zu allen offiziellen Verlautbarungen von Manpower - oft als am praktikabelsten, diese Bedürfnisse durch Sklaven-Marketender bereitzustellen. Es gab sogar das eine oder andere Luxusgut. ›Luxus‹ zumindest in den Begriffen der Sklaven. Vielen der Sklaven war es gestattet, nebenbei auch für ihren eigenen bescheidenen Wohlstand zu arbeiten, und jegliches auf diese Weise erwirtschaftete Einkommen ganz für die eigenen Zwecke zu verwenden. Das war eine zwar etwas undurchsichtige, aber sehr hilfreiche Methode, dafür zu sorgen, dass etwaige soziale Unterschiede oder gar Feindseligkeiten nicht allzu explosiv wurden.
Die Zweier waren ziemlich genau das, was ihr Name auch andeutete - Menschen zweiter (oder noch niedrigerer) Klasse, die von sämtlichen ›respektablen‹ Berufsständen und Anstellungsverhältnissen gründlich
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