Jericho
ist eine Idylle«, murmelte ich, »Wenigstens nach außen hin. Ich möchte allerdings nicht wissen, wie es hinter so manch netter Holzfassade aussieht.«
»Ich schon.« Suko grinste.
»Keine Sorge, das wird auch klappen.«
Judith Hill hatte uns geraten, bis zum Mittelpunkt des Ortes zu fahren. Er war nicht zu übersehen und bildete so etwas wie einen Platz, allerdings ohne Kirche.
Überhaupt erschien uns Jericho menschenleer. Es hielt sich niemand auf der Straße auf. Die meisten Bewohner mußten einfach in den Häusern stecken, wo sie vor der heißen Sonne Schutz suchten. Wasser gab es genug. Wir passierten einen schmalen Weg, der links von uns in das Gelände hineinstach und über eine schmale Holzbrücke führte, unter der ein schmaler Bach herfloß. Nicht weit entfernt schoß ein Brunnen seinen glitzernden Strahl in die Höhe, und an den Rändern der Straße entdeckten wir kleine Düsen, die zur Bewässerung dienten und auch zum Anfeuchten der Fahrbahn.
Eine Stadt auch ohne Fahrzeuge. Alles lag in einer gewissen Ruhe, die mir sehr unnatürlich vorkam.
Suko wurde aufmerksam, weil ich des öfteren den Kopf drehte und nach bestimmten Dingen Ausschau hielt. »Was suchst du denn?«
»Eine Kneipe.«
Mein Freund grinste. »Denk daran, daß wir im Wilden Westen sind. Hier wirst du höchstens einen Saloon finden.«
»Abwarten.«
Ich dachte über den Namen Jericho nach. So hatte auch eine alttestamentarische Stadt im heutigen Jordanien geheißen. Durch den Schall der Engelstrompeten waren ihre Mauern zusammengebrochen und hatten die Bewohner unter sich begraben.
Hier gab es keine Mauern, dafür einen bösartigen Anführer, der sich als Prophet ansah und sich mit dem Wort Meister von seinen Untertanen anreden ließ.
Ich konnte mir nicht vorstellen, daß er zu den Menschen gehörte, die unbedingt zu den Frommen zählte.
Mit einer matten Bewegung hob Suko die rechte Hand und deutete durch die staubige Frontscheibe. »Da wären wir wohl.« Er meinte den Marktplatz, der vor uns lag.
Ein einigermaßen runder Flecken, umbaut von Häusern und einem höheren Gebäude mit dem Ansatz eines Turms. Ich konnte mir vorstellen, daß dort der Prophet selbst lebte.
Den ersten Schandfleck sahen wir ebenfalls.
Mitten auf dem Platz und zumeist tagsüber in der prallen Sonne stand der Käfig, von dem uns Judith berichtet hatte. Ein dunkler Kasten mit bläulich schimmernden Stäben aus Eisen und einem Dach aus Metall. Der wurde zum Brutkasten.
Als ich ihn sah, bekam ich eine leichte Gänsehaut. Zudem wurde meine Kehle noch trockener.
Bisher hatte sich noch immer kein Bewohner gezeigt. Sie alle schienen den Ort verlassen zu haben. Auch wenn ich in den Rückspiegel schaute, hatte ich nicht einmal ein Tier über die Straße laufen sehen. Es war alles unnatürlich still.
Der Wagen rollte mit malmenden Reifengeräuschen direkt auf den Käfig zu. Kurz vor Erreichen des Ziels fuhr ich nach rechts und stoppte.
»Aussteigen, Alter!«
»Wollte ich gerade machen.« Suko öffnete die Tür und schwang seine Beine hinaus.
Ich blieb noch für einen Moment sitzen. Links von uns spendeten wieder die Platanen Schatten. Ich strich durch mein Haar und öffnete den quietschenden Wagenschlag.
Ziemlich steifbeinig verließ ich das Backofengefährt. Draußen war es deutlich kühler. Das mochte auch an den Wasserfontänen liegen. Man bewässerte und schien mit Wasser tatsächlich reichlich gesegnet zu sein.
Ich warf die Tür zu. Meine Beine schüttelte ich aus. Die Kleidung klebte am Körper. Ich roch nach Staub und Schweiß.
Vor dem Käfig traf ich auf Suko, der einen Blick durch die Lücken zwischen den Stäben warf.
Auf dem Boden entdeckten wir feuchte Flecke im Staub. Aus dem Käfig strömte uns eine bleierne Wärme entgegen. Die Tür entdeckten wir an der Seite. Natürlich bestand auch sie aus Gittern.
»Judith wird hier gelitten haben«, flüsterte mein Freund. Er ballte die Hände zu Fäusten. »Das ist verflucht unmenschlich, jemand da hineinzustecken.«
»Jerichos Werk.«
Suko drehte mir sein Gesicht zu. »Da hast du recht, John. Fragt sich nur, wo wir ihn finden.«
Ich drehte mich nach links. Hinter den Platanen stand das größte Haus mit dem angedeuteten Turm. »Dort können wir ihm einen guten Tag sagen — wetten?«
»Dann laß uns gehen.«
»Nein, Suko.« Mein Freund hatte sich schon in Bewegung gesetzt. Ich aber hielt ihn an der Schulter fest.
»Was hast du…?«
»Da kommt jemand.«
In der Tat war es die erste Person,
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