Jericho
die wir in dieser ungewöhnlichen Stadt zu Gesicht bekamen. Wir hatten mit einem Mann gerechnet, in etwa auch mit dem großen Meister selbst. Wer sich da allerdings näherte, war eine Frau.
Schon auf eine Distanz hin machte sie auf uns einen geheimnisvollen Eindruck. Sie war hochgewachsen und trug ein langes, rotes Kleid, dessen Schnitt einem Dreieck ähnelte. Oben am Hals spitz, unten ziemlich weit und fließend.
Bei jedem Schritt bewegt sich der Stoff und warf kleine Wellen. Wenn die Sonne auf das Gewand schien, bekam die rote Farbe einen hellen Glanz.
Die Frau kam und lächelte. Sehr deutlich traten die dunklen Brauen hervor. Die Nase war für meinen Geschmack etwas zu unweiblich, der Mund breit, auch voll und wirkte trotzdem verkniffen. Auch als die Frau die Lippen zu einem Lächeln auseinanderzog, entstand innerhalb des Gesichts keine Freundlichkeit.
Sie nickte uns zu, als sie stehenblieb. Wenn das eine Begrüßung sein sollte, fand ich sie zumindest komisch. Da sie nichts sagte, übernahm ich das Wort, während mein Freund mit mißtrauischen Blicken die Umgebung im Auge behielt.
»Wir sind gekommen, um Ihnen etwas zurückzubringen. Den Wagen dort. Er gehört doch Ihnen, nicht?«
»Ja, er gehört uns.« Ihre Stimme besaß einen gewissen Nachhall, was mich zunächst irritierte, denn sie hörte sich an, als würde sie in ein Rohr aus Metall reden. Keine Frage nach dem Warum und Weshalb. Allmählich ärgerte ich mich.
»Einen sehr netten Gruß sollen wir ebenfalls bestellen. Von Judith Hill. Sie hat keine Lust mehr, wieder nach Jericho zurückzukehren. Es gefällt ihr hier nicht. Außerdem mag sie keine Käfige.«
»Das hat sie gesagt?«
»Sicher.«
»Sie kann auch gelogen haben.«
Ich schüttelte den Kopf. »Wer immer Sie sein mögen, Gnädigste, das Mädchen hat nicht gelogen. In dieser Stadt geht etwas vor, das wissen wir. Deshalb sind wir auch hier. Und falls Sie die beiden Killer suchen, die den Wagen gefahren haben, die existieren nicht mehr. Sie lösten sich in Würmer auf.«
Jetzt hatte die Frau die ganze Wahrheit erfahren, ich war gespannt auf ihre Reaktion, aber sie sagte nichts. Sie blieb gelassen, das Lächeln bestand nur mehr aus einer Andeutung. So ließ sie sich nicht aus der Reserve locken. Im Gegenteil, sie spielte die Wissende und die Überhebliche, die alles unter Kontrolle hielt.
»Muß ich noch mehr sagen?« fragte ich.
»Nein…«
»Dann können wir ja zum Grund unseres Besuches kommen. Wir haben viel von ihm gehört und sind sehr gespannt darauf, ihm gegenüberstehen zu können, dem großen Propheten, dem Herrn und Meister dieser Wüstenstadt. Führen Sie uns zu Jericho.«
Die Frau überlegte. »Was wollen Sie von ihm?«
»Einige Worte mit ihm wechseln.«
Die Frau nickte. »Ja, das kann ich mir denken.« Sie bewegte ihre Augenbrauen. »Aber ich weiß nicht, ob er mit Ihnen sprechen will, wenn Sie verstehen. Wir sind Ihnen dankbar, daß Sie uns das Fahrzeug zurückgebracht haben, was Sie allerdings nicht dazu berechtigt, auch Kontakt mit dem Meister aufnehmen zu können. Er ist ein vielbeschäftigter Mann, was Sie sich bestimmt denken können. Wenn Sie Fragen haben, können Sie sich an mich wenden, denn ich bin seine Vertraute.«
»Eine Namenlose?« fragte Suko.
»Ich heiße Imelda.«
Suko lächelte kalt. »Wie schön für Sie, aber das nutzt uns nichts. Hören Sie zu, Imelda, wir haben den weiten und verdammten Weg nicht grundlos zurückgelegt. Wir wollen mit Jericho reden, und es wird keinen hier in der Stadt geben, der uns davon abhalten kann. Wir haben die Nase voll, verstehen Sie?«
Imelda regte sich nicht. Nur in ihren Augen funkelte es. »Was gibt Ihnen das Recht, derartig schlimm von diesem großen Propheten zu reden?«
»Ein Prophet ist er?«
»Ja, ein Wegweiser für die Zukunft.«
Suko lachte sie scharf an. »Der allerdings seinen Weg mit Mord, Tod und Blut pflastert. Der sich mit komischen Typen umgibt, die sich plötzlich in Würmer auflösen. Ich habe schon von vielen Propheten gehört, von derartigen allerdings nicht.«
Imelda nickte. »Das Neue Reich wird errichtet werden, und man ist gezwungen, Opfer zu bringen, wenn Sie verstehen. Das Neue Reich ist ungemein wichtig, denn es zeigt den Weg in die Zukunft, über den allein Jericho bestimmt.«
»Das werden wir ihn selbst fragen.« Ich hatte keine Lust mehr, in der Hitze zu stehen. »Wo finden wir ihn? Dort?« Ich streckte den Arm aus und wies mit dem Finger auf das höchste Gebäude.
»Ja.«
»Wie
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