Jericho
gleichzeitig in der Weite des Alls zu sein.
Ein Haus, das innen größer war als außen, oder konnte es eine optische Täuschung sein?
Ich blieb auf der Schwelle stehen. Imelda war schon einige Schritte vorgegangen. Auf dem dunklen Boden sah ich die Abdrücke, die ihre staubigen Sohlen hinterlassen hatten. »Ein Haus aus Träumen der Menschen«, sagte sie, wobei ihre Stimme plötzlich hallte, als hätte sie in einen langen Tunnel geredet.
»Merkst du etwas davon?« fragte Suko hinter mir leise.
»Nein.«
»Was sagt denn dein Gefühl?«
»Es riecht.«
»Genau, die Falle, John. Jericho will uns eine Falle stellen. Da wir das erkannt haben, ist es mir egal.«
»Mir auch.«
Imelda drehte sich um. Sie lächelte gefährlich. »Wollen Sie wieder zurück? Gefallen Ihnen die Träume der Menschen etwa nicht?«
»Noch haben wir nichts davon gespürt.«
»Dann kommen Sie doch näher«, lockte sie mit ihrer ungewöhnlichen Stimme und winkte uns aus der Dunkelheit heraus zu. Wir befanden uns in der Realität, daran gab es keinen Zweifel. Für mich war es dennoch schlecht vorstellbar, wie ein Haus mit den Träumen der Menschen gefüllt sein konnte. Ich hatte ja einen ersten Blick hineinwerfen können, da war es mir leer vorgekommen, also hatten die Träume noch keine Gestalt angenommen.
Würden sie das denn?
Ich spürte das leichte Kratzen in meiner Kehle und warf einen kurzen Blick auf Suko, dessen Gesicht einen nicht gerade glücklichen Eindruck auf mich machte.
Auch er war mißtrauisch, aber Imelda, die uns ihren Rücken zudrehte, winkte mit beiden Armen, um uns aufzufordern. »Ihr wolltet es sehen«, erklärte sie mit ihrer hallenden Stimme. »Und ihr wolltet Jericho kennenlernen. Bald ist es soweit.«
Mich irritierte der Hall ihrer Stimme. So groß und weit war das Haus nicht, und als ich eine Antwort gab, klang meine Stimme normal. »Dann bitte so rasch wie möglich.«
»Natürlich…«
Wir folgten ihr. Der Boden unter uns bestand aus dunklem Holz. Die Bohlen lagen dicht zusammen und bewegten sich, wenn sie durch unser Gewicht belastet wurden. Es hörte sich an, als würden irgendwelche Kreaturen stöhnen. Das Licht war geblieben, ohne das Innere des Hauses, das nur aus einem Raum zu bestehen schien, richtig zu erhellen. Es war da, es funkelte, aber es blieb in der Ferne wie Sterne, die unerreichbar am Firmament standen.
Das war schon seltsam…
Hinter uns fiel die Für zu. Wir zuckten beide zusammen, als wir den Knall hörten, drehten den Kopf und erkannten, daß wir eingeschlossen waren. Imelda war mittlerweile wieder vorgegangen, drehte sich auf dem Fleck und schaute uns an.
Ihr Gesicht war noch gut zu erkennen, das lange Kleid verschmolz mit der Dunkelheit.
Plötzlich lachte sie. Es war ein kaltes, gemeines und irgendwie brutales Lachen. Dann breitete sie die Arme aus. Ihre Haare wirbelten hoch, und ein Schatten riß sie fort.
»Willkommen im Neuen Reich, im Haus der Träume!« brüllte sie und flog davon.
Suko und ich standen unbeweglich, denn wir hatten beide ihre Stimme vernommen und die Frau noch sehen können. »Träume ich, John, oder stimmt das, was ich…?«
»Es scheint zu stimmen.«
»Okay!« flüsterte Suko. »Dann ist sie tatsächlich beim Wegfliegen eine andere Person geworden.«
»Oder ein anderer«, fügte ich hinzu. Gleichzeitig bekam ich eine Gänsehaut, weil mir ein schrecklicher Gedanke gekommen war. Konnten Imelda und Jericho möglicherweise ein und dieselbe Person sein?
***
Das Neue Reich wollte Jericho aus den Alpträumen der Menschen erschaffen. So jedenfalls hatten wir es verstanden und richteten uns auch darauf ein. Nur hatten wir es bisher noch nicht entdecken können. Es gab keine festen Formen, keine Ecken, Mauern, Grenzen, Nischen oder Winkel. Die Menschen schienen nicht mehr zu träumen, sie mußten in einen tiefen Schlaf gefallen sein, der traumlos weitergeführt wurde. Auch hatten die Inhalte ihrer Träume keine Gestalt angenommen. Man kann ›alpträumen‹, und dabei erscheinen einem Menschen die fürchterlichsten Dinge, die brutal in seine Seele hineinstoßen und versuchen, sie zu zerfetzen. Wir gingen durch die Leere, schauten hoch, denn für uns beide war der Himmel interessant, der über unseren Köpfen wie eine Projektion schwang.
Eine Geometrie konnten wir nicht feststellen. Möglicherweise bestand er aus einem Halbrund, es konnte auch sein, daß es nur eine glatte, einfache Fläche war, die so etwas wie eine Dimensionsgrenze darstellte und den Blick in
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