Jerry Cotton - 0505 - Flirt mit dem Verderben
verdammte Schlampe!« zischte Tim Sharkey. Er machte Anstalten, sich auf das Mädchen zu stürzen.
Sie wich zurück.
»Cotton ist G-man«, sagte sie noch. »Er wird sein Erlebnis von gestern abend nicht vergessen.«
Sharkey schüttelte verwundert den Kopf.
Dann lachte er schallend.
***
Victor Clinch warf lässig den Zimmerschlüssel des viertrangigen Hotels auf das Gestell, das die Empfangstheke darstellen sollte, tippte mit zwei Fingern gegen den Hut und stieß mit dem Fuß die schäbige Tür zur Straße auf.
Er hatte nicht die Absicht, in diesem Hotel noch einmal Zu übernachten.
Langsam ging er hinaus in den grauen Novembertag.
Sein rechtes Bein, das am Abend zuvor von der aus den Angeln gerissenen Tür des baufälligen Schuppens draußen auf dem Hudsonpier getroffen worden war, schmerzte noch stark.
Trotzdem mußte Clinch leise vor sich hinlachen.
Der Schmerz im Bein hatte ihn im gleichen Moment getroffen, als Carter in die Luft geschossen hatte. Schuß und Schmerzensschrei, dazu das Poltern der zusammenbrechenden Tür, waren so zusammengefallen, daß für jeden Ohrenzeugen der Fall klar sein mußte.
Es hatte nur einen Ohrenzeugen gegeben. Henry Gunn.
Etwa drei Minuten nach dem Schuß war er zurückgekommen. »Mußtest du einen solchen Radau machen?« hatte er laut gefragt. »Wenn die Bullen das gehört haben…«
Doch die Polizei hatte nichts gehört.
Jetzt humpelte Clinch durch Manhattan. Er hatte nur wenig Furcht, daß er einem seiner bisherigen Komplicen begegnen konnte. Sharkey, das wußte Clinch, schlief meistens bis mittags. Und auch dann verließ er kaum das als Künstler- und Artistenagentur getarnte Apartment, in dem die Gang ihr Hauptquartier hatte.
Clinch hatte Hunger und Durst. Andererseits war er knapp bei Kasse. Er mußte sparsam leben. Außerdem mußte er sich bemühen, bald einen neuen Job zu bekommen. Seinen Vorkenntnissen entsprechend möglichst als Mitglied einer gutfunktionierenden Gang.
So war es auch klar, welche Richtung er einschlug. Nur in Downtown West, in unmittelbarer Nähe des Hafens, konnte er alles finden, was er jetzt suchte. Er humpelte durch die Cordtland Street und landete vorerst einmal in Volk’s Restaurant, wo er schnell eine riesige Wurst mit einer ebenso riesigen Portion Kartoffelsalat zu sich nahm.
15 Cent opferte er noch für ein Bier. Dann verließ er das Lokal wieder.
Sein nächstes Ziel war eine finstere Kneipe mit finsteren Gestalten, die an der Theke herumlümmelten. Clinch kannte die Atmosphäre. Er benutzte seine Ellbogen und verschaffte sich einen Platz an der Theke.
»Whisky!« forderte er barsch und warf einen Quarter auf die Theke.
Der Wirt, der über dem linken Auge eine schwarze Binde trug, musterte ihn kurz. Erst dann ließ er den Quarter verschwinden, stellte ein Glas auf den Thekenrand und goß den Whisky ein.
»Wasser?« fragte er kurz.
Clinch gab keine Antwort, sondern griff einfach nach dem Glas. Damit bewies er, daß er den Umgangston in dieser Kneipe kannte.
Er nahm einen vorsichtigen Schluck, denn er mußte mit den ihm verbliebenen Dollars vorsichtig haushalten. Er ließ den leidlich guten Whisky langsam über die Zunge laufen. Dabei spitzte er die Ohren, um sich möglicherweise in ein interessantes Gespräch seiner Nachbarn einschalten zu können.
»Pete ist wieder im Land«, sagte leise ein Mann neben ihm.
»Schon?« fragte ein anderer. »Ich denke, der hat fünf Jahre bekommen?«
Clinch strengte sich an, mehr über das Thema zu hören. Pete — das konnte nur Pete Pelter sein, ein Gangster der Mittelklasse. Seine Spezialität waren Lagerhauseinbrüche.
»Ich weiß es von…«, begann der Mann links von ihm.
Dann zuckte Victor Clinch wie unter einem Peitschenhieb zusammen.
»Hallo, G-men!« brüllte der Wirt laut durch das Stimmengemurmel.
***
»Das konnte ich mir denken!« knurrte Phil leise, als uns Cassius Forster, genannt »Blackeye«, der Spelunkenwirt, mit seinem lauten und rauhen Organ so offiziell begrüßte.
Wir suchten Chuck Hoover, einen kleinen Nachrichtenhändler, der zwar zur Unterwelt gehörte, den wir aber einmal aus einer Mordsache herausgeholt hatten. Angebliche Freunde von ihm hatten ihn in einen ungerechtfertigten Verdacht geraten lassen. Ihm allein wäre es nie gelungen, seine Unschuld zu beweisen. Einen Anwalt hatte er sich nicht leisten können. Phil und ich hatten den wahren Täter gefunden. Chuck Hoover hatte uns versichert, uns ewig dankbar zu sein. Manchmal erinnerte er sich sogar an
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