Jerry Cotton - 0522 - Das Maedchen mit dem Killerblick
Bürgersteige, die am Fahrbahnrand abgestellten Wagen, die Türnischen und Toreinfahrten.
»Nächste Querstraße!« sagte er. Der Fahrer wandte den Kopf. »Sie wollten doch zum…«
»Habe es mir anders überlegt. Stoppen Sie in der nächsten Straße!«
Er bezahlte nur den genauen Fahrpreis und gab kein Trinkgeld. Er war nicht sicher, ob Francis den Scheck geschickt hatte. So oder so, er brauchte jeden Cent.
Zweimal ging er an dem Postamt vorbei. Dann überquerte er die Straße und baute sich in einer Türnische auf der anderen Seite auf. Mit der Geduld, die ihm durch seinen Agentenberuf anerzogen worden war, beobachtete er länger als eine halbe Stunde die Umgebung des Postgebäudes. Danach war er ziemlich sicher, daß keiner von Cornells Leuten hier auf ihn lauerte.
Es beunruhigte ihn, daß er Francis Nolan nicht erreichen konnte. Er hatte sie angerufen, bevor er sich hierher auf den Weg machte, aber niemand hatte in Francis’ Wohnung den Hörer abgenommen. Möglich, daß sie nur zufällig nicht zu Hause gewesen war, aber Regerty fühlte sich unsicher, solange er nicht genau in diesem Punkte Bescheid wußte. Trotzdem war er hergekommen. Er brauchte die dreihundert Dollar, die Francis ihm versprochen hatte, und er besaß gar keine andere Wahl, als jedes Risiko für lächerliche dreihundert Dollar einzugehen.
Regerty betrat das Postamt kurz vor elf Uhr. Einige Leute warteten am Schalter für postlagernde Sendungen. Er stellte sich an. Den Eingang behielt er im Auge.
»Haben Sie eine Sendung für Walt Regerty?« fragte er, als er an der Reihe war.
Der Postclerk überprüfte die Fächer und schob ihm einen Brief hinüber. Noch im Schalterraum zerriß er den Umschlag und fand einen Scheck über dreihundert Dollar. Francis Nolan hatte eine Karte beigefügt, auf der nur die Worte standen: »Ruf unbedingt an.« Regerty folgte der Aufforderung -ind wählte in der Telefonzelle des Postamtes Francis’ Nummer — wieder ohne Erfolg.
Der Scheck war auf die Filiale der Atlantic-Trade-Bank ausgestellt, die ganz in der Nähe von Francis Nolans Wohnung in der 7. Avenue lag. Regerty beschloß, ihn einzukassieren, und er spielte gleichzeitig mit dem Gedanken, selbst in Francis’ Wohnung auf die Frau zu warten.
Er war vorsichtig, bevor er das Bankgebäude betrat, aber nicht so übervorsichtig wie bei dem Postamt. Er legte den Scheck an der Kasse vor. Die Prüfung dauerte nur zwei Minuten. Regerty erhielt dreihundert Dollar ausbezahlt. Er rollte die Noten zu einem Bündel zusammen und stopfte sie in die Jackentasche. Zufrieden verließ er die Bank. Als er die Straße betrat, sah er sich dem spitznasigen Mann gegenüber, den er in der vergangenen Nacht zusammengeschlagen hatte.
***
Sam Sombrowsky zog das Rollgitter vor die Ladentür. Er hakte das große Vorhängeschloß ein und rüttelte daran, um sich zu vergewissern, daß es richtig geschlossen war.
Mit der Sub fuhr er nach Manhattan hinein. Während der ganzen Fahrt hielt er die linke Hand in der Tasche seines abgeschabten dunkelblauen Mantels.
Er verließ die Sub an der Station Westpark-House. In dem Bürohaus 96. Straße 302 fuhr er bis zur 4. Etage. Es störte ihn wenig, daß die Leute, die mit ihm den Fahrstuhl benutzten, möglichst weit von ihm abrückten, denn er roch intensiv nach dem Mottenpulver, mit dem er seinen Bestand an Alt-Kleidern einstäubte.
Den Kopf tief zwischen die Schultern gezogen, immer noch die linke Hand in der Tasche, schlich er den langen Korridor entlang. Vor einer Glastür blieb er stehen. In aufgelegten Buchstaben zeigte die Glasfüllung die Firmenanschrift: »Lewis F. Diaper — Großhandlung in Gold und Edelsteinen — Importeur«. Sombrowsky öffnete die Glastür und löste damit einen dezenten Glockenton aus, der sich meilenweit von dem Geschepper seiner Ladenklingel unterschied.
Der Raum war mit blauem Spannstoff ausgeschlagen. Auf dem Boden lagen kostbare Perserteppiche. Hinter einem Schreibtisch aus Palisander saß eine Sekretärin, die so hübsch, so gepflegt und so kostbar wirkte wie ein Schmuckstück aus Mr. Diapers Kollektion. Bei Sombrowskys Anblick zog sie entsetzt die Augenbrauen hoch.
»Ich will Diaper sprechen!« stieß der Händler hervor.
»Wenn Sie nicht angemeldet sind, werden Sie Mr. Diaper sicherlich nicht sprechen können. Wie ist Ihr Name, bitte?«
»Sombrowsky!« Er spuckte ihr den Namen wie einen alten Kaugummi hin. Sie zuckte zurück, und ihr Finger näherte sich unter der Schreibtischkante dem
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