Jerry Cotton - 0545 - Im Park der toten Liebespaare
schwarze Krawatte. Als wir eintraten, sah er uns so flehentlich an, daß ich seinem Blick auswich.
»Ich bin Tom, Sir«, sagte er drängend. »Ich bin schon seit zweiundfünfzig Jahren bei den Jacksons. Vielleicht irren Sie sich. Vielleicht sollte ich erst…«
»Ein Irrtum ist ausgeschlossen, Tom,« sagte Phil sanft. »Die Mordkommission hat als erstes die Fingerabdrücke der Toten abgenommen und verglichen. Bevor wir jemanden eine solche Hiobsbotschaft überbringen, vergewissern wir uns.«
Er nickte zitterig. Ich legte ihm leicht die Hand auf die Schulter. »Wecken Sie den Senator, Tom. Und nehmen Sie sich zusammen, bis wir es ihm gesagt haben.«
Er preßte die Lippen aufeinander. In seinem Gesicht arbeitete es, ein leises Röcheln drang aus seiner Kehle, dann fuhr er sich abrupt mit der Hand über das faltige Antlitz, drehte sich um und verschwand hinter einer hohen zweiflügeligen Tür.
»Sieht nicht so aus, als ob man das Mädchen bis zum Augenblick überhaupt vermißt hätte«, murmelte Phil.
»Hm«, brummte ich nur.
Es war nicht das erstemal, daß wir Angehörige vom Opfer eines Verbrechens verständigen mußten. Und es wird doch immer wieder das erstemal sein. Man steht herum, während man darauf wartet, daß jemand sie von ihren Arbeitsplätzen holt, daß die Kinder aus dem Zimmer geschickt werden oder daß sich jemand den Schlaf aus den Augen gerieben hat, und dabei legt man sich die Worte zurecht, die man nie sagen kann, weil immer alles ganz anders verläuft.
Es verlief auch diesmal anders. Wir warteten stumm und geduldig. Aber die Zeit zog sich endlos in die Länge. Nach einer Viertelstunde wurden wir allmählich unruhig. Nach weiteren fünf Minuten, die eine halbe Ewigkeit waren, brummte Phil: »Da stimmt doch was nicht.«
Ich zuckte mit den Achseln. Phil marschierte entschlossen auf die Tür zu, durch die der alte Neger gegangen war. Er war noch vier Schritte von ihr entfernt, als sie aufging.
Senator Jackson kam herein. Er war so groß wie ich, aber ein wenig breiter. In seinem markanten Gesicht standen tiefe Runen. Die Augen lagen tief in den Höhlen, und das dichte, lange silbergraue Haar umrahmte unordentlich den Charakterschädel. Hinter ihm tauchte der alte Tom auf. Tränen liefen lautlos über sein Gesieht. Es war offensichtlich, daß er dem Senator bereits gesagt hatte, warum wir gekommen waren.
Ich kannte die Stimme dieses Politikers. Im Rundfunk wie im Fernsehen hatten wir sie alle oft genug gehört. Als er jetzt den schmallippigen Mund öffnete, war es eine andere Stimme, die sprach.
»Bitte«, sagte er leise und kraftlos, »bitte, erzählen Sie…«
Wir sagten, was gesagt werden mußte. Sein Blick ging durch uns hindurch, in seinem steinernen Gesicht zuckte nicht ein Muskel. Es war, als hörte er uns gar nicht.
»Es tut uns sehr leid, Sir«, sagte Phil abschließend, »aber wir müssen ein paar Fragen stellen.«
Er nickte ein paarmal, ohne ein Wort zu sagen. Mit einer Handbewegung deutete er auf eine Tür, die der alte Neger sofort aufzog. Wir gelangten in eine Art Bibliothek, in der es außer den vom Boden bis an die Decke reichenden Bücherregalen noch einen Schreibtisch gab. Auf die einladende Geste des Senators hin nahmen wir Platz. Er lehnte sich gegen seinen Schreibtisch und sah uns an. Ein Leben lang war er als Politiker daran gewöhnt worden, seine Gefühle zu beherrschen. Dennoch spürte man, wie schwer es ihm fiel.
»Wann haben Sie Ihre Tochter zuletzt gesehen?« fragte Phil.
»Gestern morgen beim Frühstück. Anschließend bin ich nach Washington geflogen, und ich bin erst heute nacht, ziemlich spät sogar, zurückgekommen.«
»Demnach wußten Sie gar nicht, daß Ihre Tochter am Abend ausgegangen war?«
»Nein, ich wußte es nicht. Julia ist erwachsen. Sie leitet mein Büro und tut zwölf Stunden täglich die harte Arbeit einer Chefsekretärin, was ich…«
Er brach ab und fuhr sich mit der Linken über den Mund. Er hatte in der Gegenwart von ihr gesprochen, und nun war ihm wohl bewußt geworden, daß er in aller Zukunft von seiner Tochter nur noch in der Vergangenheit sprechen konnte.
»Ihre Tochter wurde; in Harlem gefunden«, sagte Phil. »Kann dieser Besuch im Viertel der farbigen Mitbürger einen politischen Grund gehabt haben?«
»Ich weiß es nicht«, gestand der Senator. »Julia ist — eh — sie war in vielen Ausschüssen, Klubs und Vereinen, deren Ziele sie entweder selbst spontan für unterstützungswürdig befand oder deren Mitgliedschaft sie
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