Jerry Cotton - 0552 - Zur Hochzeit eine Leiche
trügen, könnte man denken, man lebte in den vierziger Jahren. Foxtrott und so.«
»Hauptsache, die Getränke haben noch keinen Schimmel angesetzt«, witzelte Stevens.
»Die Getränke nicht, aber vielleicht die Band«, erwiderte Phil.
Mit derart geistreichen Scherzen vertrieben wir uns die Zeit, bis das Taxi im Village angekommen war und der übliche Streit einsetzte, wer die Fahrt bezahlen durfte. Schließlich knobelten wir es aus, und Bill Holden verlor, so daß er seine Urlaubskasse um zwei Dollar sechzig erleichtern durfte. Er benahm sich wie ein Neureicher aus Texas: Er gab drei Dollar und schenkte dem Fahrer den Rest.
»Der Junge muß heimlich Ölquellen besitzen«, brummte Stevens.
Wir marschierten durch den langen, mit Neonröhren bunt ausgeleuchteten Gang, der in das Zentrum des breiten Gebäudes führte, wo Tommys Klub lag.
»Hoffentlich finden wir noch einen Platz an der Bar«, meinte Phil. »Kurz nach acht ist es bei Tommy gewöhnlich schon brechend voll.«
Wir stapften eine gewundene Treppe von neun Stufen abwärts. Ich zog einen Flügel der Vollglas-Schwingtür auf. Überrascht blieb ich mitten in der Tür stehen. Das große Lokal war fast leer. Wo sonst ein paar hundert Leute herumsaßen, gab es jetzt höchstens ein Dutzend.
»Nanu!« sagte Phil. »Wo ist denn die Band?«
Die kleine Bühne war leer. Die Notenpulte standen zwar da, auch ein paar Instrumente hingen oder standen herum, aber es war nicht ein einziger Musiker zu sehen.
»Hoffentlich finden wir einen Platz an der Bar«, wiederholte Holden Phils Bemerkung und grinste breit. »Ich komme mit vier Hockern aus. Die übrigen könnt ihr benutzen.«
An der langen Bartheke gab es vierzig Hocker, und nicht ein einziger davon war besetzt. Nicht einmal der Kellner war zu sehen. Denn der Mann, der gerade ein Tablett mit Bier zu einem der Tische trug, war Tommy selbst.
»Hier stimmt was nicht«, brummte ich. »Und wenn wir schon hier sind, können wir ebensogut herausfinden, was es ist, bevor wir woanders hingehen.«
»Fragen wir Tommy«, schlug Phil vor.
Wir marschierten quer durch den ovalen Saal zur Bar. Als Tommy mit seinem leeren Tablett zurückkam und uns entdeckte, kam er sofort auf uns zu. Er kam mir ein bißchen blaß und reichlich nervös vor.
»Hallo, Tommy«, sagte ich. »Wie geht’s, wie steht’s?«
Er nickte uns vieren der Reihe nach grüßend zu, während er gekünstelt fröhlich erwiderte: »Scheint heute mal ein schlechtes Geschäft zu werden. Na ja. Man kann ja auch nicht immer Rekordumsätze machen, nicht wahr?«
Ich zeigte mit dem Daumen über meine Schulter hinweg in den Saal. »Das gibt einen Rekordumsatz«, sagte ich. »Aber nach unten.«
Tommy zupfte nervös an seinen Fingern. Die paar Falten in seinem Gesicht schienen an Schärfe gewonnen zu haben, seit ich ihn vor ein paar Wochen das letztemal gesehen hatte.
»Vier Scotch«, bestellte Phil. »Mit wenig Soda und ein bißchen Eis.«
Tommy zauberte mit - einem gekonnten Schlenker die Flasche in seine Hand und machte sich an unsere Drinks. Phil gab mir einen Stoß mit dem Ellenbogen. Ich folgte seiner Blickrichtung.
Mitten auf dem Tanzparkett gab es ein kleines aufgesplittertes Loch im Holz. Es sah sehr nach einem Einschuß aus.
»Was ist los, Tommy?« fragte ich ernst.
»Was soll los sein?« erwiderte er gereizt. »Eben mal eine schlechte Periode. Gibt’s ja wohl in jeder Branche. Aber es soll sich keiner einbilden, daß ich deswegen gleich verkaufe! Ich nicht!«
Er schob uns die Gläser hin. Als ich nach meinem greifen wollte, überraschte mich Tommys Gesichtsausdruck. Er war schlagartig kreidebleich geworden. Ich hob mein Glas, gab dem drehbaren Barhocker einen kleinen Schwung und schwenkte mit ihm berum, bis die Theke in meinem Rücken war und ich die Ellenbogen dagegenstützen konnte.
Auf der anderen Seite des Saales, in der Nähe der Schwingtür, stand ein Bulle, den man von weitem für einen in Kleider gesteckten Riesenaffen halten konnte. Er trug zwar einen Anzug mit Oberhemd und Krawatte, so daß er Tommys Bekleidungsvorschriften genügte, aber sein ganzes Auftreten war sicher geeignet, jenes gutbürgerliche Publikum abzuschrecken, von dem Tommy nun einmal lebte.
Ich fragte mich, ob das Einschußloch im Parkett wohl von diesem Gorilla herrührte. Wenn es so war, konnte Tommy jetzt natürlich das nächste Polizeirevier anrufen und den Kerl an die Luft setzen lassen. Aber von solchen Polizeiaktionen würde Tommy am Ende nicht profitieren. Sie
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