Jerry Cotton - 0553 - Ein Toter wird ermordet
typisches Nachtschattengewächs, müssen Sie wissen. Tagsüber schlafe ich. Sobald es dunkel wird, beginnt meine beste Zeit.«
»Wahrscheinlich hat Sie dann die Mitternachtssonne so braungebrannt. Gute Nacht, Madam.«
Ich ging zum Jaguar zurück.
»Na?« fragte Phil schläfrig, als ich neben ihm saß.
Ich zuckte die Achseln. »Wahrscheinlich sehe ich Gespenster.«
***
»Ausgeschlafen, Jerry?« Mr. High lächelte. Jedem anderen Chef hätte ich auf diese Frage erwidert: Zum Teufel, wie soll man nach vierzig Stunden Dienst und knapp sechs Stunden Schlaf munter sein. Aber zu Mr. High sagte ich: »Danke, Chef. Um den Tag durchzustehen, reicht es.«
Ich sagte das, weil Mr. High Vorbild ist. Von sich verlangt er stets ein bißchen mehr als von uns. Klar, daß er in seinem Alter und seiner Position keinen Außendienst macht. Aber am Schreibtisch schlägt er sich mehr Nächte als wir um die Ohren. Und wenn er uns im Dienst das Letzte abverlangt, dann nur, weil es die Sache erfordert.
»Ich habe etwas für Sie, Jerry. Es wird nicht allzu schwierig sein.« Er räumte ein paar Akten zur Seite und suchte auf dem mit Papieren übersäten Schreibtisch.
Ich schob meinen Stuhl zurück. Das Büro war vom Sonnenlicht durchflutet. Das Brausen des Vormittagsverkehrs drang aus der 69. Straße herauf. Es war kurz vor elf.
»Hier, Jerry.« Der Chef reichte mir einen Umschlag über den Tisch.
»Sie sollen diese Frau überwachen. Sie heißt Gloria Markson, ist 38 Jahre alt. Die genaue Personenbeschreibung steht auf der Rückseite des Fotos.«
Ich nahm den Umschlag, aber ich öffnete ihn noch nicht.
»Was hat sie denn ausgefressen?«
»Sie selbst vermutlich nichts. Aber ihr Mann, Charles Markson, wird seit Montag gesucht. Er hat in Kansas City einen Juwelier überfallen und Rohdiamanten erbeutet. Angeblich im Werte von einer halben Million. Der Überfall verlief glatt. Aber Stunden später wurde Markson vor einem Hotel aufgestöbert, als er in seinen Wagen steigen wollte. Ein junger Sergeant der State Police kam auf seinem Motorrad vorbei und erkannte ihn. Markson reagierte blitzartig. Wie Augenzeugen berichten, bückte er sich hinter den Wagen und schoß dem Sergeanten auf zwanzig Schritt Entfernung zwei Kugeln in den Leib. Der Polizist starb innerhalb weniger Minuten. Markson konnte fliehen. Niemand weiß, wo er sich zur Zeit aufhält. Sofort nach dem Raubüberfall war seine Frau vernommen worden. Angeblich hat sie sich schon vor Wochen von ihm getrennt. Das scheint allerdings eine Lüge zu sein. Denn in der gemeinsamen Wohnung in Kansas City fand man Hinweise darauf, daß Markson bis vor kurzem dort gelebt haben muß. Die Beamten der Mordabteilung ließen die Frau unbehelligt. Aber seitdem wird sie beschattet. Gestern ist sie hierher geflogen. Kollege Wolf hat sie überwacht. Sie wohnt in einer Hotelpension in der 29. Straße. Wir nehmen an, daß auch Charles Markson hier ist und daß sie zu ihm Verbindung aufnimmt.« Der Chef deutete auf den Umschlag. »Jetzt ist es Ihr Fall, Jerry.«
Ich riß den Umschlag auf. Er enthielt zwei postkartengroße Fotos. Ich zog sie so heraus, daß ich erst die Rückseiten sah. Sie waren beschriftet. Ich las die Personenbeschreibung und den kurzen Abriß des bisherigen Geschehens. Das Bild von Charles Markson drehte ich zuerst um. Es handelte sich um den vergrößerten Ausschnitt eines grobkörnigen Amateurfotos. Markson schien mittelgroß und sehr stabil zu sein. Er lehnte am Kühlergrill eines Chevrolet. Volles, wahrscheinlich braunes Haar war glatt zurückgekämmt. Buschige Brauen verdunkelten die Augen. Das Gesicht wirkte kräftig und etwas gedunsen.
»Kein ideales Fahndungsfoto, Chef. Aber ich glaube, ich würde ihn wiedererkennen.«
Dann sah ich mir die Frau an. Auf dem Paßfoto wirkte sie jünger als achtunddreißig. Das weißblond gefärbte Haar war hochgesteckt und an den Schläfen und über der Stirn so weit nachgewachsen, daß man den dunklen Ansatz deutlich sah. Das herzförmige Gesicht war leidlich hübsch, aber vor allem hart. Ich legte die beiden Fotos auf den Schreibtisch. Dann tippte ich auf das der Frau.
»Die kenne ich, Chef. Das heißt, ich bin ihr heute nacht begegnet. Sie saß allein in einem Wagen mit New Yorker Nummer. Der Wagen stand am Anfang der 187. Straße.«
»Hat die Frau Sie gesehen?«
»Ja. Und bestimmt hat sie sich mein Gesicht gemerkt. Trotzdem, Chef, möchte ich die Beschattung übernehmen. Denn wahrscheinlich spielt das Auftauchen der Frau in einen
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