Jerry Cotton - 0564 - Der Mann mit der roten Peruecke
vielleicht ausfindig machen. Wenn wir ihn nur genau beobachteten, ohne daß es allzu auffällig geschähe, müßte er uns an den vierten Mann und an die Beute heranbringen. Verstanden?«
Die Männer nickten stumm.
»Okay«, fuhr ich fort. »Sie beide bleiben hier in der Wache. Wer den Kerl in der weißen Jacke sieht, ruft sofort hier an. Einer der beiden Männer hier fungiert als Kurier. Ich hinterlasse hier ständig, wo ich zu erreichen bin. Das wär’s. Und jetzt verteilt euch über sämtliche Bahnsteige, bummelt durch die Warteräume — aber vergeßt nicht, dort eine Tasse Kaffee zu trinken. Es muß aussehen, als glaubten wir längst nicht mehr daran, hier noch jemand erwischen zu können.«
Sie schoben sich hinaus. Ich steckte mir eine Zigarette an und überlegte. Auf den ersten Blick mochte es geradezu tollkühn erscheinen, daß die beiden Bankräuber noch immer hier im Bahn-' hofsgelände sein sollten. Aber wenn man es genau betrachtete, war es gar nicht so übermäßig tollkühn. Außer den Bankangestellten hatte niemand sie richtig beachtet und angesehen. Die Bankangestellten aber saßen in der Bank. Von den Leuten, die auf den Bahnsteigen standen, konnte praktisch niemand die Bankräuber wiedererkennen. So tollkühn waren sie also gar nicht. Und gerade deshalb war ich sicher, daß meine Überlegungen halbwegs stimmten. Schon wollte ich mich den letzten Männern, die gerade die Wache verließen, anschließen, da rief der Desk Sergeant: »Gespräch für Mr. Cotton oder Mr. Decker!«
Ich ging zu ihm. »FBI«, sagte er und hielt mir den Hörer hin. »Ein Mr. High.«
»Das ist unser Distriktchef«, erläuterte ich und meldete mich: »Ja, Chef? Hier ist Jerry. Was gibt es?«
»Wir haben die schwarze Lola arbeiten lassen, Jerry. Die Beschreibung des einen Bankräubers trifft insgesamt auf vier Männer zu, die in unseren Karteien enthalten sind. Aber einer davon wurde von Lola selbst als unwahrscheinlich aussortiert, weil er seit drei Jahren hinter Gittern sitzt und keine Information über eine erfolgte Entlassung vorliegt.«
»Bleiben also drei«, sagte ich. »Wer sind die drei?«
»Nicht so stürmisch, Jerry. Es scheidet noch einer aus. Der hat vorige Woche einen Autounfall in Chicago gehabt, wie wir per Blitzgespräch erfuhren. Lola wußte nichts davon. Mithin bleiben nur zwei.«
»Noch besser«, sagte ich grimmig. »Der erste heißt Leroy McPherson, stimmt mit der Beschreibung im großen und ganzen überein und hat bisher Poststationen auf dem Lande ausgeraubt. Der andere heißt William P. Connor, war bereits einmal wegen Raub-Überfalls auf eine Bundesbank verurteilt und wird im Augenblick von der Staatsanwaltschaft in Atlanta gesucht.«
»Warum?«
»Er hat eine kleine Bankfiliale überfallen. Eine Bank, die auf Bundesebene versichert war und folglich in den Zuständigkeitsbereich des FBI fällt. Merken Sie was, Jerry?«
»Sie meinen, Chef, daß der Kerl aus eigenster Anschauung weiß, bei welchen Banken das FBI zuständig ist und bei welchen nicht.«
»Ja, genau. Vergessen Sie nicht, daß es möglicherweise dieser Bursche selbst war, der uns anrief. Wir zerbrachen uns den Kopf, warum er nicht die Stadtpolizei angerufen hat, wie es fast jeder gewöhnliche Bürger bei uns getan hätte. Nun, in seinem Falle liegt die Antwort auf der Hand: Der Kerl weiß zu genau, welche Banken in unsere Zuständigkeit gehören.«
»Das hört sich sehr verheißungsvoll an«, erwiderte ich. »Ein Segen, daß es Computer gibt, die Tausende von Karteikarten in Sekundenschnelle prüfen können. Also William P. Connor…«
»Nur ein Haken ist an der Sache, Jerry«, sagte der Chef.
»Nämlich?«
»Sie sagten, der Bankräuber dort bei Ihnen hätte auffallend glänzendes rötliches Haar gehabt.«
»Ja. Und?«
»Connor hat kein glänzendes, er hat überhaupt kein Haar. Er hat eine spiegelblanke Glatze. Allerdings soll er eitel sein und schon mit Perücke gesehen worden sein.«
»Was wollen wir noch mehr?« fragte ich. »Und in so einem Fall liegt es doch geradezu auf der Hand, daß er sich seiner Perücke entledigt, um sein Äußeres nach dem Überfall zu verändern. Ich möchte fast wetten, Chef, daß wir eine rotbraune Perücke gefunden haben werden, sobald wir mit der gründlichen Durchsuchung fertig sind.«
***
Die letzten zehn Minuten waren für Lindsay schier unerträglich gewesen. Er hatte sich immer dort aufgehalten, wo eine Menschenmenge zusammengekommen war: zuerst, vor der Bank, wo Neugierige noch immer
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