Jerry Cotton - 0564 - Der Mann mit der roten Peruecke
auf die zerschossene Tür starrten und die wildesten Gerüchte diskutierten, später immer wieder in der Menge an den Seiten des Bahnsteigs, wenn ein neuer Zug zu erwarten stand.
Seine Erregung stieg. Der Zug, auf den er wartete, kam und kam nicht. Entweder hatte der Polizist in der Wache der U-Bahn-Polizei ihm eine falsche Zeit gesagt, oder es war inzwischen irgend etwas mit diesem Zug unternommen worden. Mit dem Zug, in dem Lindsay mehr als sechzigtausend Dollar versteckt hatte!
Einmal glaubte er, sein Herz bleibe stehen. Er war von der Menge zu nahe an die Bank gedrängt worden, und einer der Angestellten hatte herausgeblickt und Lindsay offensichtlich gesehen. Das Gesicht des jungen Mannes verzog sich, er hob den Arm, wie um auf Lindsay zu zeigen, aber mitten in der Geste brach er ab, senkte den Kopf wieder über seine Papiere und kümmerte sich nicht mehr um die Gaffer. Lindsay drängelte sich durch die Menge ein Stück von der Bank fort.
Dann lief ein Zug ein aus der Richtung, aus der der erwartete kommen mußte. Lindsay bückte sich, um die Wagennummern abzulesen, die tief unten neben den Türen standen. Der Wagen 29-78 war nicht dabei.
Lindsay fühlte, wie ihm der Schweiß ausbrach. Der U-Bahn-Polizist in der Wache hatte doch ausdrücklich erklärt, daß der Zug am Zielbahnhof nicht noch einmal durchsucht würde! Wo blieb der Zug dann? Warum verspätete er sich immer mehr?
Lindsay beobachtete, wie eine Kolonne uniformierter Männer begann, den Bahnsteig vom südlichen Ende her genau abzusuchen. Die suchen auch das Geld, dachte der Bankräuber. Wenn die wüßten, daß sogar ich es suchen muß! Verdammt, vielleicht war es doch falsch, es unter dem Sitz zu verstecken. Aber ich hatte ja keine andere Wahl. Als die Bullen jede Tasche durchsuchten, wäre ich ja geliefert gewesen. Nur sitze ich jetzt da und kann einen U-Bahn-Wagen mit der Nummer 29-78 suchen. Wie viele U-Bahn-Wagen verkehren in New York? Tausend? Zehntausend?
Der bloße Gedanke ließ ihn wieder schwitzen. Lindsay hastete auf die andere Seite des Bahnsteigs, wo wieder ein Zug einfuhr. Er bückte sich und kontrollierte die Nummern der langsam ausrollenden Wagen. Als der Zug stand, mußte er noch ein Stück der Wagenreihe entlanglaufen, bis er die Nummern der letzten Wagen gesehen hatte. 29-78 war nicht dabei.
Vielleicht sollte ich es aufgeben, dachte Lindsay in einem Anfall von Erschöpfung. Lange halte ich das nicht mehr durch. Und wenn ich mich nicht irre, werden es immer mehr Cops, die hier herumlaufen. Irgendwann falle ich einem auf. Aus irgendeinem blödsinnigen Grund, wegen irgendeiner Kleinigkeit. Es war, sinierte er weiter, von vornherein eine Schnapsidee, sich mit Harris und dessen nervösen Idioten zusammenzutun. Wenn ich nicht so dringend Geld gebraucht hätte, wäre Harris nie mein Helfer geworden. Aber wer konnte denn auch wissen, daß ich mitten in diesem Millionennest Harris treffe, mit dem ich zwei Jahre lang in derselben Zelle gesessen habe…
Lindsay wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er überlegte, ob er im Warteraum etwas Kühles trinken sollte. Aber dann würde er hinterher nur noch mehr schwitzen. Und außerdem — konnte der richtige Zug nicht gerade in dem Augenblick kommen, da er im Warteraum stand? Nein, er mußte hier draußen auf dem Bahnsteig bleiben. Und wenn es noch eine Stunde dauern sollte.
Auf der gegenüberliegenden Seite rollte ein Zug aus dem Tunnel und hielt am Bahnsteig. Lindsay hastete hinüber und lief von Wagen zu Wagen'. 29-78, dachte er immer wieder: 29-78, 29-78. Er las andere Zahlen und lief zum nächsten Wagen. Als er einen Augenblick verschnaufen mußte, spürte er irgendwie, daß ihn jemand beobachtete. Er drehte sich um.
Der Cop dort, der mit den kantigen Zügen, starrte der ihn nicht an?
Lfndsay schluckte. Er war einer Panik nahe. Aber da schob sich eine Menschenmenge zwischen sie, und Lindsay verlor den Cop aus den Augen. Er drängelte sich rücksichtslos durch die Menge. Ein paar Männer fluchten, eine Frau kreischte empört irgend etwas, aber Lindsay mußte an den nächsten Wagen heran. Über die Köpfe der Leute hin hallte eine Lautsprecherdurchsage. Irgend etwas von einem Leerzug. Lindsay hörte es und hörte es auch wieder nicht. Denn urplötzlich, wie ein Blitz aus heiterem Himmel, war er seinem Ziel nahe. Lindsay rieb sich die Augen. Er bückte sich, er las noch einmal, er wollte es nicht glauben, sein Herz klopfte zum Zerspringen — da stand es: 29-78.
Der Gangster rang nach
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