Jerry Cotton - 0577 - Staatsempfang fuer einen Moerder
vermacht.«
Ich nickte. »Zugegeben, auf den ersten Blick wirkt es unwahrscheinlich und geradezu töricht. Vielleicht waren James Ridges Kenntnisse oder Erkenntnisse noch zu vage, möglicherweise waren sie nicht mehr als ein Verdacht. Zwei Gründe können ihn dazu veranlaßt haben, diesen Verdacht nicht sofort an seine Vorgesetzten weiterzuleiten. Erstens mag Ridge erwartet oder gehofft haben, daß dieser Verdacht sich konkretisieren würde, und zweitens litt er gewiß unter der Nachwirkung des Schockes, den der Verdacht in ihm ausgelöst haben dürfte. Ich wette, daß für Ridge eine Welt zusammenstürzte. Ein CIA-Mann spionierte für die Feinde unseres Landes! Es ist kein Wunder, daß James Ridge plötzlich jedem mißtraute.«
Mr. High blickte aus dem Fenster. »Um einer Gegenaktion des Verräters vorzubeugen, vertraute Ridge seine Erkenntnisse einem Papier an, das er Viola Lavola zueignete. Ridge wußte also, in welcher Gefahr er sich befand.«
»Er kann sie nur geahnt haben«, warf ich ein. »Wenn ihm klar gewesen wäre, daß sein Gegner ihn bereits durchschaut hatte, wäre es kaum zu dem Verbrechen gekommen.«
»Es gibt noch eine Möglichkeit«, sagte Phil ernst. »Ich gebe freilich zu, daß sie mir nicht gefällt. Wir wissen, daß Ridges plötzliches Mißtrauen der Anlaß dazu war, seine Vorgesetzten nicht zu informieren. Liegt da nicht der Verdacht nahe, daß der Verräter unter seinen Vorgesetzten zu suchen ist?«
»Dieser Gedanke drängt sich tatsächlich auf«, bestätigte Mr. High und schob einen mit Namen betippten Bogen zurecht, der vor ihm auf dem Schreibtisch lag, »aber wir können ihn getrost ans Ende unserer Betrachtungen stellen. James Ridge hatte in seiner Dienststelle einen ziemlich hohen Posten. Es gab nur zwei Männer, die höhere Positionen bekleideten. Ich halte es für ausgeschlossen, daß einer von ihnen als Landesverräter in Frage kommt.«
»Es muß ein wichtiger Mann gewesen sein — einer, der Einblick in die Zusammenhänge hatte und für die Gegner unseres Landes besonders wichtig war«, meinte Phil.
»Insofern stimme ich Ihnen zu«, sagte Mr. High. »Nach meinen bisherigen Ermittlungen kommen nur vier Leute dafür in Betracht. Zwei davon waren zur fraglichen Zeit in James Ridges Büro — sie kommen als mögliche Täter in Betracht. Diese beiden Namen stehen auch auf unserer berühmten Fünfzehner-Liste. Es sind Howard Fulton und John Grade. Es ist klar, daß wir ihnen gegenüber besonders behutsam und diskret ermitteln müssen. Obwohl sie für unsere Arbeit volles Verständnis zeigen würden, möchte ich keinem Unschuldigen zumuten, als Landesverräter verdächtigt zu werden.«
Ich lächelte matt. »Sie haben vermutlich schon das notwendige Hintergrundmaterial über die beiden zusammengetragen?«
Mr. High sah nur kurz auf, um dann fortzufahren: »Beginnen wir mit Howard Fulton. Er ist dreiundvierzig Jahre alt und Harvard-Absolvent. Seit dreizehn Jahren im Staatsdienst, verheiratet, zwei Kinder. Besitzt ein mit normalen Hypotheken belastetes Haus in Long Island. Die Eltern seiner Frau sind reich. Der Vater ist Bankdirektor. Fultons Eltern leben als wohlhabende Farmer in Iowa. Während seiner Militärdienstzeit brachte es Fulton bis zum Oberleutnant. Seine Universitätszeugnisse und die Urteile seiner militärischen Vorgesetzten weisen ihn als einen patriotischen, intelligenten Mann von untadeliger Lebensweise aus. Seine Hobbys sind Angeln und Reiten, aber er kommt nur selten dazu, sie zu pflegen. Keine Schulden.«
»Und Grade?« fragte Phil. »Neununddreißig Jahre alt, West-Point-Kadett. Wurde von der Armee als Hauptmann entlassen und von der CIA übernommen. Nach dreijähriger Ehe mit einer untreuen Frau schuldlos geschieden. Keine Kinder. Fanatischer Arbeiter mit großem Organisationstalent. Geht ganz in seiner Arbeit auf und führt ein nahezu asketisches Leben. Bewohnt ein Apartment in der 96. Straße. Keine Schulden. Liebt klassische Musik und geht zur Zerstreuung gern ins Theater.«
»Ich hasse den Gedanken, daß einer der beiden ein Verräter sein soll«, sagte Phil.
Mr. High legte den Bogen beiseite und schob sich die Pfeife zwischen die Zähne. »Wen von den beiden würden Sie verdächtigen?« fragte er.
»Fulton«, sagte ich prompt.
Mr. High hob die Augenbrauen. »Warum?«
»Auf Anhieb wirkt sein Bild noch untadeliger als das von Grade. Grade ist immerhin geschieden — das mögen manche als einen Makel betrachten, auch wenn es heißt, daß er an der Trennung
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