Jerry Cotton - 0579 - Warum musste Springfield sterben
gewöhnlicher Schießstand von normaler Länge.
Ungewöhnlich war nur das überlebensgroße Zielfoto am anderen Ende des Raumes.
Es zeigte ein Girl, das ich kannte. Ich blickte den Dunkelhaarigen an: »Was hat das zu bedeuten?« fragte ich ihn. »Warum schießen Sie auf Phyllis Carter?«
***
»Phyllis Carter? Ich wußte nicht, daß Sie so heißt«, erklärte der Dunkelhaarige grinsend.
»Und wie heißen Sie?« wollte ich wissen.
»Tim Cheney. Der Boß sucht sich die Zielfotos aus. Wir ballern auf alles, was uns gerade Spaß macht — auf Bilder, meine ich. Vorige Woche hatten wir den Bürgermeister in der Mache. Diesmal ist die Puppe dran.«
»Finden Sie das so lustig?« fragte ich. »Das Schießen? Klar! Man reagiert sich dabei ab. Die einen kegeln. Wir schießen auf Scheiben. Jeder nach seiner Fasson, das ist meine Meinung.« Ich musterte die Schwarzweiß-Vergrößerung. In Höhe von Phyllis’ Herzen war das Zielfoto von Einschlägen durchlöchert.
»Der Stand hat ’ne elektrische Anlage«, meinte Cheney. »Passen Sie auf, ich führe Ihnen das mal vor.«
»Danke«, wehrte ich ab. »Mein Freund und ich wissen schon, wie das funktioniert.«
Hinter uns öffnete sich die Tür. Borletti trat über die Schwelle. Aus einem unerfindlichen Grund hatte er sich einen Hut aufgesetzt, einen schwarzen Borsalino. In Verbindung mit der himmelblauen Seiden jacke wirkte das leicht komisch.
»Na, ist das etwas?« fragte er strahlend. »Auf diesen, kleinen Hobbyraum bin ich stolz. Meine Angestellten toben sich gern ein wenig darin aus.«
»Kennen Sie Phyllis?« fragte ich ihn. »Phyllis Carter? Aber ja!« meinte er. »Offen gestanden, kann ich sie nicht ausstehen. Für mich ist sie das, woran unsere Zivilisation krankt: ein Massenprodukt. Deshalb macht es mir Spaß, auf sie zu schießen. Es ist wie eine symbolische Handlung, wissen Sie.«
»Wo und wann haben Sie das Mädchen kennengelernt?« erkundigte ich mich.
»Daran erinnere ich mich nicht mehr. Es wäre zuviel behauptet, wenn ich sagen würde, daß ich sie wirklich kenne. Sie wissen ja, wie das ist. Girls dieser Preisklasse werden auf allen Partys herumgereicht — jedenfalls solange ihr Ruhm anhält.«
Zehn Minuten später saßen Phil und ich wieder in meinem Jaguar. »Was hältst du davon?« fragte ich ihn.
»Phyllis-Carter-Bilder sind in jedem Magazin und an jeder Straßenecke zu finden«, meinte er. »Vielleicht steckt wirklich nicht viel dahinter.«
»Glaubst du noch an den Weihnachtsmann?« fragte ich.
Phil grinste. »Was das betrifft, so ist deine große Güte für mich immer wieder eine Versuchung, in die Denkgewohnheiten meiner Kindheit zurückzufallen«, spottete er.
Diesmal ging ich auf Phils Flachsereien nicht ein. Ich konnte es einfach nicht. Ich hatte noch immer nicht den Anblick der Toten von Springfield vergessen. Auch Phil wurde rasch wieder ernst. »Es gibt keine plausible Verbindung«, meinte er. »Im Gegenteil! Borletti läßt auf Phyllis schießen — aber das Girl lebt, und die anderen sind tot.«
»Also doch nur alberne Symbolik«, sagte ich ohne Überzeugungskraft.
Im Distriktgebäude erwartete uns eine Überraschung.
Die ersten Obduktionsbefunde waren eingegangen. Mr. High erläuterte sie uns.
»Die Einwohner von Springfield sind an einem Kampfgas gestorben. Dieses Gas, das im Bericht als VM 8 bezeichnet wird, wirkt sofort tödlich — und es tötet, ohne zu schmerzen. Es hat die Eigenschaft, sich nur kurze Zeit an der Luft zu behaupten. Danach verflüchtigt es sich und wird gefahrlos.«
»Ist es ein Gas, ’das in unseren Armeedepots unter Verschluß gehalten wird?« fragte Phil.
Mr. High schüttelte den Kopf. »Nein. Das Gas wurde niemals offiziell hergestellt — jedenfalls nicht in größeren Mengen. Es gibt demzufolge auch keine Lagerbestände.«
»Wer kennt die Formel?«
Mr. High lehnte sich zurück und blickte an die Decke. »Wir alle wissen, daß in einigen Labors die Möglichkeiten der biochemischen Kriegsführung untersucht werden«, meinte er. »Das ist schon deshalb notwendig, um Abwehrmaßnahmen gegen ähnliche Erfindungen der Gegenseite entwickeln zu können.« Mr. High beugte sich wieder nach vorn und schaute uns an. »Gott sei Dank wird das meiste von dem, was diese Hexenküchen zusammenbrauen, niemals produziert oder gar eingesetzt. Aber es sind in fast allen Fällen tödliche Superwaffen — Kampfstoffe vom Charakter und der Wirkung des VM 8.«
»Wer hat die Formel gefunden?«
»Das lassen wir sofort
Weitere Kostenlose Bücher