Jerry Cotton - 0590 - Handlanger des Todes
warf, stand ein Mann. Er bewegte sich nicht, und seine Umrisse zeichneten sich so undeutlich ab, daß ich unsicher wurde, ob es sich wirklich um einen Menschen handelte oder um irgendeinen toten Gegenstand. Dann, nach mehr als zehn Minuten, nahm ich eine Kopfbewegung wahr und wußte, daß ich mich nicht geirrt hatte. Vielleicht starrte der Mann jetzt zu mir herüber.
Bewegungslos verharrte ich an der Wand des Pförtnerhauses. Nach weiteren fünf Minuten löste sich der Mann aus dem Mauerschatten. In geduckter Haltung und mit langen, geschmeidigen Sätzen überquerte er den Hof und verschwand im Eingang zur Fabrikhalle.
Ich blieb auf meinem Platz, denn ich vermutete, daß der Mann vom Halleneingang noch einmal den Hof kontrollierte. Fünf Minuten ließ ich verstreichen. Dann löste auch ich mich aus der schützenden Dunkelheit und lief auf den Halleneingang zu. Ich brauchte nicht leise zu sein. Das Geräusch meiner Schritte konnte den Mann nicht warnen, aber auf der schattenlosen Fläche des Hofes mußte er mich sehen, wenn er noch im Eingang stand. Ich hatte knapp hundert Yard zurückzulegen, aber mir schienen diese hundert Yard lang wie eine halbe Marathonstrecke. Als ich die Fabrikhalle erreicht hatte, war ich in Schweiß gebadet.
Ich schlich an der Mauer entlang bis zum Eingang und schob mich in die Halle. Das Licht, das durch die zerbrochenen Fenster fiel, ließ die verrotteten Maschinen wie bizarre, unwirkliche Gebilde aus der Hand eines modernen Künstlers erscheinen. Dazwischen lagen die nachtschwarzen Felder fensterloser Mauerteile. In dieser Halle hausten jetzt nicht nur Ratten. Irgendwo zwischen den Maschinen befand sich ein Mensch — ein Mörder.
Ich entdeckte, daß meine Hand unter der Jacke am Griff des 38ers lag. Ich zwang mich, sie zurückzuziehen, ohne die Kanone mitzunehmen. Ich wollte nicht schießen, gleichgültig, wie die Situation sich entwickelte. Vorsichtig schob ich mich an den Maschinen vorbei.
»General?« sagte eine Stimme. Der Mann mußte laut sprechen, um gegen das Dröhnen von draußen anzukommen. Ich biß die Zähne aufeinander und bewegte mich in die Richtung, aus der die Stimme kam.
»General? Bist du es?« wiederholte er. Ich erkannte die Stimme des Mannes, der mich angerufen hatte. Sterling Drain stand also hier zwischen den Maschinen. Ich glaube nicht, daß er meine Schritte hörte. Vielleicht warnte ihn sein Instinkt.
»He, hallo! Verdammt, wo bist du?« rief er laut.
Ich wußte, daß ich ganz in seiner Nähe, vielleicht schon in Reichweite war. Ich nahm die Taschenlampe hoch. Mein Daumen lag auf dem Einschaltknopf.
»Drain«, sagte ich und drückte den Knopf.
Der Lichtkegel traf voll sein Gesicht. Ja, es war Sterling Drain. Er stand zwischen zwei Maschinen. Sein Piratengesicht war seit, unserer Begegnung in der Girl’s Hell schärfer geworden. Die dunklen Augen lagen tief in den Höhlen.
Vier Schritte trennten uns. Ich bewegte mich vorwärts. Plötzlich flog seine rechte Hand hoch. Der Lauf eines schweren Trommelrevolvers glänzte auf. »Stop!« schrie Drain und wich tiefer zwischen die Maschinen zurück. »Ich will dein Gesicht sehen, General!«
Ich handelte blitzschnell und eiskalt. Ich ließ die Taschenlampe fallen und hechtete selbst nach rechts weg.
Drains Kanone dröhnte dreimal, und eine Kugel erwischte die Lampe, noch bevor sie den Boden berührte, und zerblies sie.
»Drain!« rief ich. Noch immer war ich nahe bei ihm, so nahe, daß er auf diesen Anruf hin sofort schoß, aber ich kauerte in der Deckung einer Drehbank. Die Kugeln schlugen Funken aus dem Stahl. Mit irrem Jaulen wimmerten die Querschläger durch die Luft. Er reagierte auf den Anruf mit zwei Kugeln. Benutzte er einen sechs-, acht- oder einen neunschüssigen Revolver? Hatte er nur noch eine oder noch vier Kugeln im Magazin.
»Schade um deine vierzigtausend Dollar, Drain!« rief ich.
Wieder antwortete der Revolver. Ich sah das Aufzucken der bläulichen Mündungsflamme in höchstens zwei Schritt. Entfernung. Nur die Drehbank stand noch zwischen ihm und mir. Ich ging nach links weg. Dann schnellte ich mich mit einem Satz, in den ich alle Kraft meiner Muskeln packte, über die Maschine hinweg auf den Mann.
Ich prallte gegen ihn. Die Wucht des Zusammenstoßes warf ihn gegen ein Gestell aus massivefn Eisen. Er schrie auf. Ich erwischte seinen rechten Arm und packte mit beiden Händen zu. Er hieb mir die linke Faust ins Gesicht. Ich kümmerte mich nicht darum. Alle Kraft konzentrierte ich auf den
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