Jerry Cotton - 0592 - Ein Bettler macht kein Testament
vorwärts und stieß mit dem Schienbein gegen etwas Hartes. Ich bückte mich, fühlte mit der Hand rauhes Holz und dann den kalten Stahl meines 38ers. Aufatmend hob ich die Waffe auf. Vorsichtig pirschte ich vorwärts.
Eine Stimme ließ mich innehalten. Sie kam wieder irgendwo aus der Höhe, aber es war eine vertraute Stimme.
»Jerry, bist du da unten?« Phil sprach halblaut.
»Ja«, gab ich ebenso zurück, »was ist los. Wo sind die Gangster?«
»Einer liegt hier oben. Er ist anscheinend tot. Aber es muß noch jemand hiersein. Es waren zwei, die vorhin geschossen haben.«
Als Bestätigung dieser Worte bellte auf der anderen Seite des Raumes wieder ein Revolver auf.
Hinter einem großen Pfeiler stehend, hoffte ich, daß der Schütze seine Stellung nicht verändern würde. Solange er an seinem Platz blieb, konnte mir nicht viel passieren. Ich fühlte wieder den Schmerz in meiner linken Hand und am Oberschenkel.
»Victor«, rief ich laut, »Victor, hören Sie mich?«
Ein höhnisches Lachen antwortete mir. »Das Dreckschwein wollte mich verkaufen, aber ich hab’s ihm heimgezahlt. Versucht ja nicht, mich zu holen! Ich knalle euch auch ab.« Diesmal schickte er eine Kugel in meine Richtung.
Jim Hillers war offensichtlich entschlossen, es auf einen Kampf gegen zwei G-men ankommen zu lassen. Wahrscheinlich befand er sich in einer Panikstimmung.
Phil meldete sich zu Wort: »Seien Sie kein Narr, Mann! Sie haben nicht die geringste Chance. Geben Sie auf, solange es noch nicht zu spät ist!«
»Und was habe ich davon, wenn ich mich ergebe? Lieber verrecke ich, bevor ich mein weiteres Leben in einer Zelle verbringe.«
Da halfen nur noch schwere Geschütze. Ich legte Bedauern in meine Stimme und sagte: »Schade um Sie, Hillers. Wir sind hinter Ihnen her, weil einer Ihrer Freunde einen alten Bettler in der Bowery umgelegt hat. Wir dachten, Sie könnten uns bei der Aufklärung dieser Geschichte helfen.«
Das war ein Bluff. Natürlich hatte ich keine Ahnung, wer von den dreien für den Tod des Alten verantwortlich war. Und den Mord an Riddle ließ ich wohlweislich unerwähnt, obwohl Hillers vermutlich auch damit etwas zu tun hatte.
Irgendwo'in der Nähe vernahm ich ein Stöhnen. Das konnte nur bedeuten, daß Miguel aus seiner Narkose erwachte. Wenn dieser Bursche erst wieder mit einem Messer durch die Gegend schlich, wurde es hier drinnen ausgesprochen ungemütlich.
Ich ließ den zweiten Bluff folgen. »Phil, es hat keinen Zweck. Hast du die Handgranaten klargemacht?«
»Ich bin bereit, Jerry. Wann soll ich werfen?«
»Sobald ich bis drei gezählt habe. Weißt du, wo er sich versteckt hält?«
»Klar, ich habe ja vorhin sein Mündungsfeuer gesehen.«
Seine Nerven waren stärker, als ich gedacht hatte. Erst als ich bis zwei gezählt hatte, rief Hillers: »Stopp! Ich gebe auf. Neben der Tür ist ein Lichtschalter. Ich werfe jetzt meinen Revolver weg.« Etwas Schweres polterte in meiner Nähe auf den Boden.
***
Rechtsanwalt Lucas Tybell verließ seine Praxis. In seiner Begleitung befanden sich zwei Männer. Sie waren mit ihm im Wagen angekommen, hatten sich im Vorzimmer seines Büros niedergelassen und dort gewartet, bis er mit seiner Arbeit fertig war. Nun gingen die drei wieder zu Tybells hellblauem Pontiac.
Der Anwalt blickte sich vorsichtig um, bevor er einstieg. Die beiden Männer schienen sich um ihre Umgebung jedoch nicht zu kümmern. Sie nahmen von niemand Notiz und flegelten sich breit in die Polster.
Tybell ließ ein ärgerliches Zischen hören. »Ich habe Sie nicht engagiert, um Sie durch die Gegend zu kutschieren. Für mein Geld kann ich verlangen, von Ihnen hinreichend geschützt zu werden.«
»Keine Sorge, Mr. Tybell. Ich weiß zwar nicht, wer Ihnen da ein Ding verpassen will, aber Sie bezahlen uns gut genug, daß wir in dieser Angelegenheit ein entscheidendes Wörtchen mitreden werden. Und wir sind ganz ausgezeichnete Redner, haha.« Dabei klopfte er vielsagend auf seine linke Achselgegend.
Seit Tybell einmal einen führenden Gangsterboß erfolgreich verteidigt hatte, war er der Anwalt vieler Leute dieses Schlages gewesen. Und fast jeder hatte ihn wissen lassen, er solle sich nur an ihn wenden, wenn er einmal selbst in Schwierigkeiten stecke. Nach dem Tod Riddles hielt Tybell den Augenblick für gekommen.
Man hatte ihm Luke Gibson und Barney McQuarrie empfohlen, beide erfahren im Umgang mit harten Burschen und bekannt dafür, daß sie selber vor nichts zurückschreckten. Sie hatten bereits
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