Jerry Cotton - 0592 - Ein Bettler macht kein Testament
Barney!«
Nachdem seine Leibwächter verschwunden waren, merkte Lucas Tybell, wie seine Knie zitterten. Er trug immer noch den Koffer in der rechten Hand und setzte ihn jetzt mit einem qualvollen Stöhnen zu Boden.
»Wer sind Sie?« Tybells Stimme klang leise und unendlich müde. Da war nichts mehr von dem gefürchteten Anwalt mit der scharfen Zunge, dessen schneidige Plädoyers Geschworene unsicher machten. Lucas Tybell war nichts weiter als ein Mensch, der um sein Leben bangte.
Der Schlanke, dem das alles riesigen Spaß zu machen schien, deutete auf seinen Begleiter: »Mein Partner wird Ihnen alles Weitere erklären.«
Der andere Mann kam auf Tybell zu, der bis zur Wand zurückwich. Ganz dicht kam das Gesicht heran, und der Anwalt forschte verzweifelt in seinem Gedächtnis nach, woher er diese Augen, die breite Nase und den harten Mund kannte, aber es fiel ihm nicht ein. Jetzt war das Gesicht des anderen nur noch eine Handbreit vor dem seinen.
Und plötzlich wußte er es. Ein erstickter Schrei löste sich von Tybells Lippen. Seine Beine drohten nachzugeben.
Der andere nickte grimmig. »Jawohl, ich bin es, du Hund. Hast du mich endlich erkannt?« Mit der Linken ergriff er Tybells Krawatte und zog ihn brutal an sich. Die heisere Stimme war nur noch ein Krächzen. »Wer Tinetto gekannt hat, vergißt ihn nicht. Warst du es nicht, der das einmal gesagt hat, Lucas?«
***
Jim Hillers legte ein umfassendes Geständnis ab. Demnach hatte er einer Gang angehört, die sich auf Raub und Erpressung spezialisiert hatte. Anführer dieser Bande war Victor Stanton gewesen, ein Mann, der sich möglichst heraushielt und die anderen die Arbeit machen ließ. Jim und zwei andere Mitglieder der Gang, Tony Guardino und Jesse McMahon, waren überdies der Ansicht, daß Stantons passive Rolle bei der Aufteilung der Beute entschieden zu hoch honoriert wurde.
Deshalb hatten sie nur zu bereitwillig das verlockende Angebot eines Fremden angenommen, der ihnen 5000 Dollar dafür zahlen wollte, wenn sie einem harmlosen alten Trottel seine Mundharmonika abknöpfen würden. Aber der Job war doch nicht so ganz einfach.
»Er wollte uns erpressen und drohte mit der Polizei«, erklärte Hillers, als ich ihn zusammen mit Phil vernahm, »und ehe ich Tony davon abhalten konnte, hatte er den Alten schon mit dem Messer fertiggemacht. Tony hätte das nicht tun sollen.« Dabei machte er ein harmloses Gesicht.
Ich ließ ihn reden. Hillers konnte nicht ahnen, daß ich bereits Miguel Galarza, den Wurfmesserakrobaten, vernommen hatte. Und dieser Bursche war ohne sein Messer der redseligste Mensch, den ich kenne. Was er erzählte, entsprach ziemlich genau unseren Recherchen: Jim habe eines Abends Victor angerufen und ihm gestanden, er habe einen Mann erstochen. Da Victor Angst gehabt habe, Jim könne der Polizei zuviel über seine Freunde erzählen, habe er sich bereit erklärt, den verlorenen Sohn zu verstecken.
Was mich im Moment weitaus mehr interessierte, war der seltsame Fremde, der sich so sehr für eine alte Mundharmonika interessierte.
»Er heißt Garrick, Ritchie Garrick«, beeilte sich Hillers zu sagen. Eifrig fuhr er fort: »Garrick war aber nicht der Auftraggeber. Da war noch jemand, der sich Rosebud nannte. Ich lernte ihn in einem Haus in Queens kennen, nachdem wir den Auftrag ausgeführt hatten. Garrick führte uns zu ihm. Ich möchte den beiden nicht noch einmal begegnen!«
Das klang echt. »Wieso, was haben sie Ihnen getan?« fragte ich interessiert. Hillers sah mich beschwörend an.
»Ich sage Ihnen, Mr. Cotton, diese beiden sind Teufel in Menschengestalt! Rosebud gab sofort, nachdem er die Mundharmonika von uns bekommen hatte, den Befehl, uns aus dem Weg zu räumen. Dieser Garrick schien nur darauf gewartet zu haben. Er hatte sich eine ganz besonders teuflische Methode ausgedacht…«
»… und inszenierte deshalb einen kleinen Autounfall«, unterbrach ich ihn. Hillers schaute verblüfft drein.
»Sie wissen…?«
»Die Polizei ist nicht so dumm, wie ihr Brüder manchmal glaubt. Der sogenannte Unfall hat uns auf Ihre Fährte gebracht, Hillers. Allerdings kannten wir da noch nicht Ihren Namen und auch nicht die Ihrer beiden Freunde, die es bei dieser Sache erwischt hat.«
Kleinlaut schilderte nun Jim Hillers, wie er Garricks Mordanschlag entronnen war und bei Victor Unterschlupf gefunden hatte. Nach meinem Anruf, der große Verwirrung unter der Bande ausgelöst haben mußte, hatten sich Jim, Victor und Miguel im alten Lagerhaus am
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