Jerry Cotton - 2905 - Ein Steckbrief fur den Tod
gedacht. Sie wissen ja wahrscheinlich auch, dass in unserem Revier einige Transen unterwegs sind. Ich dachte mir zuerst, dass einer von den Kerlen vielleicht einfach mal die Haarfarbe wechseln wollte. Aber dann erinnerte ich mich an den Aufruf vom FBI, alle ungewöhnlichen Beobachtungen zu melden. Und außerdem fahnden Sie doch nach einer blonden Frau, nicht wahr?«
»Und diese Frau könnte genauso gut auch ein verkleideter Mann gewesen sein«, dachte ich laut nach. »Sie haben sehr gute Arbeit geleistet, Officer Burroughs. Ich schicke Ihnen gleich einige Experten von der SRD, die sich die Perücke und die Umgebung des Fundorts genau vornehmen werden.«
Natürlich war der Perückenfund noch kein Beweis, der vor Gericht Bestand gehabt hätte. Alles stand und fiel nun mit der kriminaltechnischen Untersuchung des Gegenstands. Aber immerhin kristallisierte sich immer mehr heraus, dass Roy Jordan die Wahrheit gesagt hatte. Aus dem Mordverdächtigen war nun ein Zeuge geworden. Dass er wegen seiner anderen Verbrechen hinter Gittern bleiben musste, stand auf einem anderen Blatt.
Einer der weiteren Augenzeugen behauptete, er habe die dunkel gekleidete Blondine in ein dunkles Auto einsteigen sehen. Daraufhin ließen wir uns vom NYPD sämtliche Videoaufzeichnungen der Verkehrsüberwachungskameras im weiteren Umkreis der Montrose Avenue geben. Wir beschränkten uns bei der Auswertung zunächst auf den Zeitraum von einer Stunde nach der Bluttat. Schon bald wurden wir fündig.
»Das könnte die Frau oder der verkleidete Mann sein«, sagte Phil und deutete auf den Monitor. Wir saßen bei einem jungen Computerspezialisten, der auf seinen Hochleistungsrechnern mehrere Bilddateien gleichzeitig auswertete.
»Kannst du ein wenig heranzoomen?«, fragte ich den Techniker. Er nickte. Das Standbild war undeutlich, aber die Person am Lenkrad trug auf jeden Fall eine Sonnenbrille. Von den Gesichtszügen her konnte es sich sowohl um einen glattrasierten Mann als auch um eine nicht geschminkte Frau handeln. Auf jeden Fall wirkte die Fahrerin nicht besonders feminin auf mich.
»Die Frau kann man nicht gut erkennen, aber das Nummernschild des Wagens«, stellte Phil fest. »Vom zeitlichen Ablauf her könnten wir die Täterin vor uns haben. Offenbar wurde sie von der Kamera nur wenige Minuten nach dem Mord erfasst.«
Ich nickte.
»Die Zeit müsste ausgereicht haben, um zum Auto zu laufen, einzusteigen und loszufahren.«
Bei dem Wagen der Blonden handelte es sich um einen dunkelblauen Chevrolet Spark mit New Yorker Kennzeichen. Im Handumdrehen hatten wir den Autobesitzer ermittelt. Es stellte sich heraus, dass ihm sein Chevy einen Tag vor dem Mord gestohlen worden war. Der Besitzer hieß Kang und war ein koreanischstämmiger Amerikaner.
Seine Frau stammte ebenfalls aus dem fernen Osten, wie sich herausstellte. Wir konnten davon ausgehen, dass keiner von beiden sich eine blonde Perücke übergestülpt und dann ans Lenkrad gesetzt hatte.
Da Mr Kang sein Auto als gestohlen gemeldet hatte, fahndete das NYPD bereits nach dem Fahrzeug. Bis jetzt allerdings ergebnislos.
»Alex Redmonds Mörder hat sich jedenfalls viel Mühe gegeben, seine Spuren zu verwischen«, stellte ich fest.
»Wie man es nimmt«, wandte Phil ein. »Er hätte sich auch maskieren können, dann wäre er noch schlechter zu erkennen gewesen.«
»Ja, aber ein Mensch mit maskiertem Gesicht fällt auf, außer an Halloween. Eine blonde Frau, die schnell zu ihrem Auto eilt, ist in New York ein alltäglicher Anblick. Wir können froh sein, dass sich die Zeugen überhaupt an die Person erinnern.«
Während dieses Wortwechsels zwischen Phil und mir hatte unser Innendienstkollege die Gesichtserkennungs-Software über das Überwachungsfoto der Unbekannten laufen lassen. Ein Treffer wurde allerdings nicht angezeigt.
»Das wäre wohl auch zu schön gewesen, um wahr zu sein«, seufzte Phil. »Also ist das blonde Gift noch nicht aktenkundig geworden.«
»Nicht unbedingt«, widersprach unser Computerexperte. »Dieses Überwachungsfoto weist keine hohe Qualität auf. Außerdem könnte die Verdächtige beispielsweise durch Botox-Einspritzungen im Gesichtsbereich einiges verändert haben. Bei einem Datenabgleich mit einem älteren erkennungsdienstlichen Foto erkennt die Software dann die Gemeinsamkeiten nicht mehr hundertprozentig und zeigt deshalb keinen Treffer an.«
»Das ist genau der Grund dafür, dass ich einen Täter lieber in Fleisch und Blut vor mir stehen habe«, sagte Phil.
Weitere Kostenlose Bücher