Jerry Cotton - 2911 - Jung schoen und toedlich
sofort eingreift, ist auch das möglich.«
»Ja, dann …«, erwiderte Bob Franklin heiser. »Dann wollen wir das FBI sofort.«
»Gut«, sagte Sergeant Guardo. »Da trifft es sich gut, dass wir heute zwei FBI-Agenten hier im Haus haben.«
***
Das Mädchen war klein und dick. Es kam durch die Hintertür in den Laden und beachtete nichts und niemanden außer einem Warenregal gleich links, auf das es zielstrebig zusteuerte. Darin befand sich ein umfangreiches Sortiment jener Schokoriegel, die laut Fernsehwerbung viele gesunde Bestandteile hatten.
»Das ist Ashley«, erklärte Mary Franklin. »Unsere Jüngste.« Sie wandte sich nach hinten. »Ashley, komm mal her! Sag den Gentlemen guten Tag.« Das Mädchen, mit einem Bündel Riegel in der Hand, beachtete seine Mutter nicht. Erst als Mary hinzufügte: »Die Gentlemen sind vom FBI«, blieb die Kleine stehen, drehte sich um und staunte.
Sie trug ein hellgraues, sackförmiges Sweatshirt, das ihre Konturen weitgehend verbarg. Sie war vierzehn Jahre alt, wie wir von Mary wussten, und sie aß zu viele Süßigkeiten.
Phil und ich standen mit der Ladeninhaberin vor der Kasse, in der Nähe des Eingangs. Mary Franklin war eine mütterlich wirkende Frau mit brünettem, adrett frisiertem Haar und dunkelbraunen Augen. Ihr blitzsauberer blauer Kittel mit dem gelb auf die Brusttasche gestickten Sunnyside -Logo sah exakt so aus wie in der Fernsehwerbung, wo dauerlächelnde Verkäufer-Darsteller behaupteten: »Wir geben alles – alles für unseren kleinen Laden in Ihrer Straße.« Es war gerade drei Minuten her, dass wir die Filiale von Sunnyside Deli an der Ecke East 124th Street und Third Avenue betreten hatten. Robert Franklin fuhr bereits wieder seinen Linienbus.
Ashley ließ rasch die Schokoriegel in den Taschen ihrer Jeans verschwinden und kam mit großen Augen auf uns zu. »Echt?«, rief sie. »Sind Sie richtige FBI-Agenten? Wie die im Fernsehen?«
»Umgekehrt. Die im Fernsehen versuchen, so zu sein wie wir«, scherzte Phil.
»Hast du eine Ahnung, wo deine Schwester abgeblieben ist?«, fragte ich
»Patty?« Die Kleine winkte ab. »Mir hat sie nichts gesagt. Aber irgendwo wird sie schon sein. Ich meine, sie kann ja jetzt machen, was sie will. Daran muss Mom sich erst noch gewöhnen.«
»Ashley!«, sagte Mary Franklin scharf. »Nimm dich zusammen.«
»Sorry, Mom.« Ashley senkte den Kopf. »Ist mir so rausgerutscht.«
»Okay, Patty hat also nichts gesagt«, lenkte Phil ab und sah die Vierzehnjährige an. »Aber du kennst doch deine Schwester. Mit wem trifft sie sich, wenn sie abends weggeht? Nur mit Freundinnen? Oder lässt sie sich in einer Disco auch mal mit einem Mann ein?«
»Bis jetzt nicht«, antwortete Ashley. »Aber was gewesen ist, gilt ja nicht mehr. Wo sie doch nun ihr eigener Boss ist.«
»Hör auf damit«, tadelte Mary ihre Tochter. »Reite nicht dauernd darauf herum. Du weißt genau, was für Sorgen Dad und ich uns machen. Also tu bitte nicht so, als ob man das alles auf die leichte Schulter nehmen kann.«
»Tue ich doch gar nicht«, maulte Ashley. »Dad sieht das alles viel lockerer. Du hast ihn doch nur aufgestachelt. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er doch nicht gleich die Polizei und das FBI verrückt gemacht. Aber meine liebe große Schwester ist ja die wichtigste Person hier im Haus. Bei jedem kleinen Wehwehchen …«
»Ashley, es reicht«, schnitt Mary ihr das Wort ab. »Die Agents sind bestimmt nicht hergekommen, um sich dein Gezicke anzuhören. Geh jetzt auf dein Zimmer.« Sie sah Phil und mich fragend an, und wir nickten kaum merklich. In einen ausufernden Mutter-Tochter-Disput wollten wir uns auf keinen Fall einmischen.
Ashley stieß ein beleidigtes Knurren aus, machte kehrt und stapfte davon.
»Ich glaube«, sagte ich behutsam, »sie macht sich genauso große Sorgen wie Sie, Mistress Franklin.«
Die Ladeninhaberin ließ ein angedeutetes Lächeln erkennen, das jedoch sofort wieder schwand. Sie bat uns, sie beim Vornamen zu nennen, und fragte: »Haben Sie Kinder?«
Wir verneinten unison und baten sie, uns mit Jerry und Phil anzureden.
»Seien Sie froh«, erwiderte Mary. »Wenn sie in der Pubertät sind, könnte man sie an die Wand klatschen. Bei Patricia war es auch schlimm, aber jetzt ist sie ja aus dem Gröbsten raus.«
Ich war versucht, zu fragen, ob Patty vorgezogen wurde und so etwas wie Narrenfreiheit genoss. Aber ich ließ es, denn ich wollte Mary nicht verstimmen. Sollte das Verschwinden der Tochter tatsächlich ein
Weitere Kostenlose Bücher