Jerry Cotton - 2912 - Blutschwur
noch bevor ich mich umdrehen konnte, bekam ich einen fürchterlichen Schlag über den Schädel. Ich dachte, mein Kopf würde explodieren.«
»Sie trifft wirklich keine Schuld«, versicherte ich. »Sie haben gewiss getan, was Sie konnten. Aber was ist mit Julie Lonnegan? Wirkte sie in den Stunden vor ihrer Entführung anders als sonst? War sie angespannt oder nervös?«
Der verletzte Marshal hob die Schultern.
»Das ist schwer zu sagen, ich kannte sie ja kaum. Als ich die Nachtschicht morgens abgelöst habe, war ich kurz bei ihr im Apartment, um die Fenster zu überprüfen und mich ihr vorzustellen. Da machte sie schon einen unruhigen Eindruck. Aber das ist auch kein Wunder, denn sie ist ja schließlich Belastungszeugin gegen einen brutalen Rockerboss. Und ich habe zugelassen, dass sie verschleppt werden konnte.«
Ich klopfte ihm beruhigend auf die Schulter.
»Wir wären auch überrumpelt worden, genau wie Sie. Wir wünschen Ihnen gute Genesung. Rufen Sie mich bitte an, falls Ihnen noch etwas einfällt.«
Mit diesen Worten legte ich meine Visitenkarte auf den Nachtschrank. Phil und ich verließen das Hospital wieder.
»Der arme Teufel ist fertig mit der Welt«, stellte mein Freund bedauernd fest. »Man könnte beinahe meinen, dass Julie Lonnegan ihm höchstpersönlich den Schädel eingeschlagen hat.«
»Ja, falls sich keine Hinweise auf eine weitere Person zur Tatzeit im Apartment ergeben, dann ist das die einzige Erklärung. Julie war Clark Dobsons Freundin. Wir wissen nicht, ob sie früher in Verbrechen der Bandits verstrickt war. Gewalt könnte ihr also nicht fremd sein. Aber warum sollte Julie ihre eigene Entführung inszenieren?«
»Vielleicht wollte sie vor Dobson fliehen und hat den Marshals und dem FBI nicht mehr zugetraut, sie wirksam schützen zu können, Jerry. Sie ist in Panik geraten.«
»Okay, aber warum wollte sie dann ursprünglich überhaupt eine Aussage machen? Sie wusste doch ganz genau, was für ein eiskalter Mörder ihr Freund ist.«
»Ich kenne Julie Lonnegan nicht, wir müssten mehr über sie in Erfahrung bringen. Angenommen, sie gehört zu den Menschen, die erst reden und dann denken. Sie wollte spontan ihren Freund der Justiz ausliefern und hat sich erst später bewusst gemacht, was für Folgen sich dadurch in ihrem eigenen Leben ergeben.«
***
Ich lenkte meinen roten Boliden nun in eine ruhige Wohngegend von Queens, wo sich ein Altersheim befand. Dort konnten sich die Bewohner in einem frei zugänglichen Aufenthaltsraum mit ihren Gästen treffen. Phil und ich nickten einigen Senioren zu, die mit ihren Kindern und Enkeln dort saßen.
Wir erregten kein Aufsehen. Die Rentner und das Personal nahmen offenbar an, dass wir auf jemanden warteten. Das stimmte auch.
Doch der Mann, der wenig später den Aufenthaltsraum betrat, zog alle Blicke auf sich. Es war ein junger Biker in Lederkluft mit Big Apple Bandits -Emblem. Er kam grinsend auf uns zu und streckte uns die Rechte entgegen. Vor wenigen Stunden hatte er mir noch mit einem Schraubenschlüssel den Schädel einschlagen wollen.
Aber das hatte ich nicht ernst genommen, denn ich kannte diesen Mann seit Jahren. Agent Cliff Jacobs war nämlich ein FBI-Kollege im Undercover-Einsatz bei der Rockerbande.
»Hallo, Grandpa«, sagte Cliff zu mir. »Ich habe von meiner Freundin Cindy gehört, du willst wieder 50 Dollar von deiner kargen Rente für deinen missratenen Enkel abzweigen?«
Ich musste lachen.
»Aber nur, wenn du ein paar neue Geschichten für mich hast.«
»Und ob. Wollen wir uns ein wenig die Beine vertreten?«
Phil, Cliff und ich verließen den Aufenthaltsraum des Altenheims. Aus Sicht der Bewohner gaben wir ein seltsames Trio ab. Zwei Männer in dunklen Anzügen und ein junger Biker mit strähnigen Haaren und Lederkleidung. Jedenfalls sollte niemand mithören, was wir uns zu sagen hatten. Diskretion war die beste Lebensversicherung für unseren jungen Kollegen im Undercover-Einsatz.
»Dein Auftritt heute war ganz großes Kino«, lobte Phil. »Man hat dir glatt abgenommen, dass du das FBI hasst wie die Pest.«
»Ich habe mir alle Mühe gegeben«, erwiderte der junge Kollege. »Ich bin ja bei den Bandits immer noch kein Vollmitglied. Diese Typen sind krankhaft misstrauisch. Es dauert lange, bis sie jemanden von außen anerkennen. Momentan muss ich hauptsächlich im Clubhaus die leeren Bierflaschen wegräumen, die Böden wischen und Botengänge für die Chefetage dieser Verbrecher machen. Ein undankbarer Job, den aber alle
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