Jerry Cotton - 2916 - Das Marlin-Projekt
herum, doch hier gab es niemanden. Der Fußboden war übersät mit Spielzeug, aber einen Killer gab es nicht.
Mit Handzeichen machte Joe uns klar, dass sich der gesuchte Mann demnach auf jeden Fall im letzten Zimmer aufhalten musste.
Diesmal ging Phil voran. Er drückte die Klinke, ließ die Tür aufschwingen, wir blieben ihm dicht auf den Fersen – wieder nichts. Ein kleines, ordentlich aufgeräumtes Wohnzimmer, aber keine Menschenseele.
Plötzlich zuckte Phils Hand vor. »Das Fenster!«
Tatsächlich, es war nur angelehnt. Ich sprang vor, riss es auf und steckte meinen Kopf heraus. Das Erste, was ich wahrnahm, war das angerostete Gestänge einer Feuerleiter, die von hier aus nach unten in einen kleinen Hinterhof führte. Das Zweite war eine verdächtige Bewegung zwischen zwei Sperrmüllstapeln. Instinktiv zuckte mein Kopf zurück. Doch das wäre wohl zu spät gewesen, wenn die beiden Schüsse besser gezielt abgegeben worden wären. So schlugen zwei Projektile eine Handbreit neben meinem Kopf in die Hauswand ein.
Sofort erwiderte ich ungezielt das Feuer. Ich wollte meinen Kopf nicht unbedingt als Zielscheibe an die frische Luft halten und war auch nicht darauf aus, den Burschen da unten wirklich zu erwischen. Ich wollte ihn vorerst nur unten halten. Das ging ganz gut, denn es war ausgeschlossen, dass ich ungewollt Unbeteiligte hätte treffen können. Da unten war nur Sperrmüll und Mauerwerk.
»Jetzt schnapp ich mir den Kerl!«, zischte Joe Brandenburg und war im nächsten Augenblick aus dem Zimmer verschwunden. Ich hatte unser weiteres Vorgehen eigentlich erst absprechen wollen, aber dafür war es jetzt zu spät.
»Ich gehe in die Wohnung nach nebenan«, presste mein Partner Phil hervor, der von Joes Alleingang auch nicht so begeistert war.
»Nein«, widersprach ich. »Kein Kreuzfeuer. Sobald Joe unten ist, brauche ich dich sofort hier am Fenster. Du musst mir Deckung geben, während ich die Feuerleiter runterklettere.«
»Ist das nicht ein bisschen gefährlich?«
»Ich sehe keine Alternative.«
Plötzlich ertönte das typische Stakkato einer Maschinenpistole, gleichzeitig schlug eine ganze Salve Kugeln knapp oberhalb des Fensters in die Hauswand ein.
»Verdammt, wo hat der Kerl die MPi her?«, fluchte ich.
»Die konnte er hier im Haus nicht einsetzen. Zu eng. Passt mir gar nicht, dass er die jetzt ausgepackt hat.«
Erneut streckte ich meine Hand samt SIG aus dem Fenster und ballerte ziellos in den Hinterhof, um zu verhindern, dass der Mann sich einschießen konnte – egal, ob auf uns oder auf Joe, der jeden Moment auf der Bildfläche erscheinen musste.
***
Chaled Machabi hatte den Hubschrauber gesehen und die Schüsse gehört. Jetzt hörte er außerdem, dass eine Maschinenpistole abgefeuert wurde und zog daraus den Schluss, dass Alfie offenbar in der Klemme saß.
Er nahm einen letzten tiefen Zug aus der selbstgedrehten Zigarette, warf die Kippe auf den Boden und trat die Glut sorgfältig aus.
Es war inzwischen Mittag und er fragte sich ernsthaft, ob es nicht vielleicht doch ein Fehler gewesen war, auf den Mann zu vertrauen, den ihm der andere vorgeschlagen hatte. Natürlich, ihm war es recht gewesen, dass er keinen seiner Vertrauten in diesen Auftrag schicken musste. Aber das, was jetzt kam, war ihm auch nicht recht.
Machabi zückte sein Prepaid-Handy und drückte die Wahlwiederholung. Am anderen Ende hob jemand ab, sagte aber kein Wort.
»Das Taxi kann jetzt kommen.« Dann legte er auf.
Zeit, dass jemand bei Alfie zu Hause den Koffer holte. Alfie würde ihn wahrscheinlich eh nicht mehr brauchen.
***
Joes Stimme hallte in dem engen, umbauten Hinterhof seltsam metallisch wider, als er rief: »Hände hoch, FBI!«
Die Antwort war eine weitere Garbe aus der MPi, die diesmal wohl Joe galt. Sofort legte ich nach und jagte dem Kerl da unten fünf weitere Dinger um die Ohren, ließ das Magazin auswerfen und rammte ein volles in den Griff meiner SIG. Joe gab unten einen Schuss ab, einen einzigen.
Ein Schmerzensschrei folgte, und wenn ich mir alles richtig zusammenreimte, dann war der Gesuchte gerade getroffen worden. Etwas Metallisches fiel zu Boden – wahrscheinlich seine Waffe.
»Hab ihn erwischt!«, rief Joe nach oben. Ich steckte meine SIG weg und schwang mich sofort aus dem Fenster, um über die Feuerleiter nach unten zu gelangen. Ich sah Joe mit vorgehaltener Waffe auf einen Mann zugehen, der auf dem Boden kniete und mit schmerzverzerrtem Gesicht eine Hand auf eine blutende Wunde an seiner
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