Jerry Cotton - 2922 - Der lange Arm der Rache
beimessen. Statt sich um die Lebensmittelspekulanten an den Börsen zu kümmern, durch die Millionen verhungern, klammern Sie sich so sehr an das Schicksal einzelner Menschen, dass es fast paradox ist.«
»Interessante Einstellung«, bemerkte ich kühl. »Und da in unserem Land jeder das Recht hat zu denken, was er will, ist sie in keiner Weise strafbar. Ich frage mich allerdings, ob sich Ihre Einstellung ändern würde, wenn es um den Tod einer einzelnen Person geht, die Ihnen etwas bedeutet. Nehmen wir nur Ihren Mann: Was fühlen Sie bei dem Gedanken, dass er bald sterben wird?«
Einen Moment lang glaubte ich, so etwas wie Trauer in ihren Augen aufflackern zu sehen. Doch dann war es schon wieder vorbei. Sie verstand es, ihre Gefühle unter Kontrolle zu halten. Diese Feststellung brachte mich zu der Frage, wie sehr sie in die Familiengeschäfte der Quantinianos verstrickt war.
»Sie hätten vielleicht besser Philosoph werden sollen statt FBI-Agent«, sagte sie kühl.
Mister Quinley, der Anwalt, räusperte sich. »Agent Cotton, ich denke, es wäre angebracht, wenn Sie Fragen stellen würden, die sich auf Ihren Fall beziehen, und nicht persönlich werden.«
»Oh, war ich Ihnen zu persönlich?«, erwiderte ich und tat überrascht. »Aber Sie haben recht – ich sollte präzisere Fragen stellen. Also, Mistress Quantiniano, wissen Sie etwas über die Morde?«
»Nur das, was Sie mir gerade erzählt haben«, antwortete sie.
»Vielleicht ist Ihnen eine dieser Personen bekannt?«, fragte ich und breitete Fotos der drei Opfer vor ihr auf dem Tisch aus, während ich ihre Reaktion genau beobachtete.
»Nein, die Gesichter kommen mir nicht bekannt vor«, sagte sie nach einer oberflächlichen Betrachtung.
»Sie erinnern sich also nicht, sie beim Prozess im Gerichtssaal gesehen zu haben?«, hakte ich nach.
»Möglicherweise habe ich sie gesehen«, antwortete sie zurückhaltend. »Aber ganz ehrlich – die waren mir völlig egal. Und was mich nicht interessiert, das merke ich mir auch nicht.«
»Gut«, sagte ich und sammelte die Fotos wieder ein. »Dann bliebe nur noch die Sache mit den Alibis zu klären.«
»Alibis?«, fragte Mrs Quantiniano überrascht. »Sie können doch nicht annehmen, dass ich persönlich eine Waffe in die Hand genommen und diese Menschen getötet hätte? Das ist doch absurd.«
»Mord an sich ist ebenfalls absurd«, konterte ich. »Aber trotzdem geschieht er.«
Wie erwartet hatte sie für alle Tatzeiten ein Alibi, genau wie ihr Schwager.
»Ist das dann alles, meine Herren? Ich würde gern noch ein wenig für meine Figur tun«, sagte sie schließlich und schickte sich an zu gehen.
»Ja, das ist alles, vorerst«, entgegnete ich.
Sie lächelte überlegen. »Machen Sie sich keine Hoffnungen, es wird wohl kaum ein späteres Treffen geben. Guten Tag.«
Mit diesen Worten verschwand sie aus dem Zimmer.
»Darf ich Sie dann auch bitten zu gehen?«, fragte der Anwalt, und die beiden Sicherheitsleute im Zimmer unterstrichen seine Aufforderung mit grimmigen Gesichtern.
»Ja«, sagte ich und zögerte kurz. »Wobei – wie sieht es mit Anna Quantiniano aus, Ronaldos Mutter? Ist sie nicht auch im Haus?«
»Das ist sie in der Tat«, bestätigte der Advokat. »Aber leider ist es ihr aufgrund ihres Gesundheitszustandes nicht möglich, jemanden zu empfangen. Die arme Frau hat in den letzten Jahren genug durchgemacht und benötigt umfangreiche ärztliche Betreuung. Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie auch nicht versuchen würden, eine Befragung mit rechtlichen Mitteln durchzusetzen. Sie hat mit den Geschäften der Familie ohnehin nichts zu tun und verlässt nur selten ihr Zimmer.«
»Was soll’s, wir sind keine Unmenschen«, meinte Phil. »Lassen wir die alte Lady in Ruhe. Für unsere Ermittlungen ist sie ohnehin nicht relevant.«
»Wenn ich Sie dann bitten dürfte zu gehen«, sagte Mr Quinley höflich, aber bestimmt.
»Ja, wir gehen«, sagte ich, machte ein paar Schritte, blieb dann stehen und drehte mich wieder um. »Da ist noch jemand, mit dem wir reden wollten, Luisa, die Tochter von Ronaldo Quantiniano, sein einziges Kind, nicht wahr?«
Der Anwalt nickte zustimmend. »Das ist richtig. Aber sie wohnt nicht hier auf dem Anwesen, sondern zusammen mit ihrem Mann in ihrem eigenen Haus, etwa eine Meile von hier entfernt.«
»Na prima, dann sind wir hier tatsächlich fertig«, sagte Phil lässig.
Wir gingen zurück zum Ausgang, wo wir unsere Magazine wiederbekamen. Phil prüfte die seinen besonders
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