Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jerusalem: Die Biographie (German Edition)

Jerusalem: Die Biographie (German Edition)

Titel: Jerusalem: Die Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Sebag Montefiore
Vom Netzwerk:
Priestern oder Päpsten. Sein kühner Protest sprach die weit verbreiteten Ressentiments gegen die Kirche an, die nach Ansicht vieler den Bezug zur Lehre Jesu verloren hatte. Diese Protestanten wollten einen direkten, unmittelbaren Glauben und konnten ihren Weg, frei von der Kirche, allein finden. Der Protestantismus war so flexibel, dass bald eine Vielzahl neuer Sekten aufkamen – Lutheraner, reformierte Kirchen, Presbyterianer, Calvinisten, Wiedertäufer –, während Heinrich VIII. im englischen Protestantismus eine Möglichkeit sah, seine politische Unabhängigkeit zu unterstreichen. Aber eines verband sie alle: ihre Ehrfurcht vor der Bibel, die Jerusalem wieder ins Zentrum ihres Glaubens rückte. [174]
    Als Süleyman nach 45-jähriger Regentschaft 1566 auf einem Feldzug starb, setzten seine Minister ihn wie eine Wachspuppe in seine Kutsche und präsentierten ihn seinen Soldaten, bis Selim, einer seiner Söhne mit Roxelana, sich die Nachfolge gesichert hatte. Selim II., genannt der Trunkenbold, hatte viel den Intrigen seines Freundes Joseph Nasi zu verdanken, jenes Großen Juden, der in seinem prunkvollen Belvedere-Palast in Istanbul lebte, ein Vermögen mit polnischem Bienenwachs und moldawischem Wein gemacht hatte und nun zum Herzog von Naxos ernannt wurde. Beinahe wäre er König von Zypern geworden. Er setzte sich so engagiert für verfolgte oder notleidende Juden in Europa und Jerusalem ein, dass kurz vor seinem Tod Gerüchte aufkamen, dieser jüdische Herzog und Krösus müsse der Messias sein. Aber seine Pläne hatten wenig Erfolg. Unter Selim und seinen Nachfolgern expandierte das Osmanische Reich weiter und blieb dank seiner umfangreichen Ressourcen und hervorragenden Verwaltung über weitere hundert Jahre hinweg beeindruckend mächtig – seine Herrscher hatten jedoch bald Schwierigkeiten, die Kontrolle über abgelegene Provinzen und deren übermächtige Gouverneure zu behalten, und so erschütterten Gewaltausbrüche von Zeit zu Zeit Jerusalems Ruhe.
    Ein arabischer Rebell fiel 1590 mit seiner Horde in Jerusalem ein, eroberte die Stadt und tötete den Statthalter, konnte aber besiegt und vertrieben werden. Danach geriet Jerusalem unter die Herrschaft von Ridwan und Bairam Pascha – zwei zum Islam konvertierte christliche Sklaven, die am Hof Süleymans erzogen wurden – und ihrem tscherkessischen Gefolgsmann Farrukh. Ihre Familien beherrschten – und missbrauchten – Palästina nahezu ein Jahrhundert lang. Als Farrukhs Sohn Muhammad sich 1625 aus Jerusalem ausgesperrt sah, stürmte er mit 300 Söldnern die Mauern, schloss die Tore und folterte Juden, Christen und Araber gleichermaßen, um Geld von ihnen zu erpressen.
    Solche Auswüchse ermunterten die Armenier als stärkste christliche Religionsgemeinschaft, im Zuge ihrer Kampagnen gegen die Katholiken und in ihrem Kampf um das Prädominium den Sultan nur noch mehr zu bestürmen und zu bestechen und in den Kirchen Jerusalems zu wettern. In den ersten zwanzig Jahren des Jahrhunderts erließen die Sultane 33 Dekrete zur Verteidigung der angefeindeten Katholiken, und die Vorherrschaft über die heiligen Stätten wechselte sechsmal in nur sieben Jahren. Aber die Christen hatten sich zu einer äußerst lukrativen Einnahmequelle Palästinas entwickelt: Jeden Tag saß der Wärter der Grabeskirche, das Oberhaupt der Familie Nusseibeh, auf einem Thron im Hof des Komplexes und ließ seine bewaffneten Männer Eintrittsgebühren kassieren – die Tausenden Pilger brachten beträchtliche Einnahmen. Ostern, das die Muslime als Fest der roten Eier bezeichneten, stellte der Statthalter Jerusalems, begleitet vom Kadi, dem Wärter der Kirche und der gesamten bewaffneten Garnison, seinen Thron auf und verlangte von jedem der »zur Hölle verdammten Ungläubigen« zehn Goldstücke, die anschließend unter den Osmanen und der Ulema geteilt wurden.
    Bei den Juden war unterdessen etwas im Schwange. Ein Pilger schrieb: »Jerusalem war stärker bevölkert denn je seit dem ersten Exil«; Jerusalems Ruf »verbreitete sich und es wurde bekannt, dass wir in Frieden lebten. Gelehrte strömten in Scharen an die Tore.« Alljährlich zum Passahfest traf eine Karawane ägyptischer Juden ein. Die meisten waren Ladino sprechende Sephardim, die sich sicher genug fühlten, die »vier Synagogen« zu bauen, die sich zum Lebensmittelpunkt im jüdischen Viertel entwickelten, aber es kamen auch einige osteuropäische Pilger aus der Adelsrepublik Polen-Litauen, sogenannte Aschkenasim (nach

Weitere Kostenlose Bücher