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Jerusalem: Die Biographie (German Edition)

Jerusalem: Die Biographie (German Edition)

Titel: Jerusalem: Die Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Sebag Montefiore
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in der Schlacht von Navarino die Unabhängigkeit Griechenlands erzwangen. Das hielt die Albaner allerdings nicht lange auf: Mit Rückendeckung jenes früheren Jerusalembesuchers, Vicomte de Chateaubriand, der inzwischen zum französischen Außenminister avanciert war, strebten sie die Bildung eines eigenen Reichs an.
    Ende 1831 schlug Mehmed Ali sämtliche Truppen, die ihm der Sultan entgegenschickte, zurück und eroberte Palästina, Syrien und den größten Teil der Türkei. Bald stand er vor den Toren Istanbuls. Jetzt endlich erkannte ihn der Sultan als Herrscher über Ägypten, Arabien und Kreta an, während Ibrahim zum Gouverneur von Großsyrien ernannt wurde. Das Reich gehörte jetzt den Albanern: »Ich habe dieses Land mit dem Schwert erobert«, erklärte Mehmed Ali, »und mit dem Schwert werde ich es erhalten.« Das Schwert war sein oberster General, Ibrahim, der seine ersten Armeen befehligt und schon als Jugendlicher sein erstes Massaker geplant und ausgeführt hatte. Ibrahim war es, der die Saud-Herrscher besiegt, Griechenland verwüstet, Jerusalem und Damaskus eingenommen und die siegreichen ägyptischen Truppen bis vor die Tore von Istanbul geführt hatte.
    Im Frühjahr 1834 nun richtete Ibrahim, nicht nur wegen der Farbe seines Bartes »der Rote« genannt, sein Hauptquartier am Davidsgrab ein, stieß die muslimische Gemeinde vor den Kopf, indem er auf einem europäischen Thron statt auf Kissen saß und ungeniert Wein trank, und schickte sich an, Jerusalem zu reformieren. Er versprach den Christen und Juden Gleichheit vor dem Gesetz und hob die Sonderabgaben auf, die von beiden Gemeinden erhoben wurden: Sie durften sich nun öffentlich in muslimischer Kleidung zeigen und auf Pferden reiten, und sie mussten zum ersten Mal seit Jahrhunderten keine Dschizya-Steuer mehr zahlen. Doch als türkischsprachigem Albaner waren Ibrahim Araber mehr als alles andere verhasst – sein Vater bezeichnete sie als »wilde Tiere«. Am 25. April traf Ibrahim auf dem Tempelberg mit den Stadtoberen zusammen, um ihnen den Befehl zur Einberufung von 200 Jerusalemern zu übermitteln. »Ich wünsche, dass dieser Befehl umgehend ausgeführt und dass hier in Jerusalem damit begonnen wird«, erklärte Ibrahim. Doch in Jerusalem wurde sein Ansinnen nicht gut aufgenommen. »Eher sterben wir, als dass wir unsere Kinder in ewige Sklaverei geben«, lautete die Antwort der Jerusalemer.
    Am 3. Mai sollte der Albaner der orthodoxen Osterfeier beiwohnen: 17 000 christliche Pilger waren in die brodelnde Stadt geströmt, die am Rande einer offenen Rebellion stand. In der Nacht von Karfreitag auf Samstag drängten sich in der Grabeskirche die Massen in Erwartung des heiligen Feuers. Anwesend war auch ein englischer Reisender, Robert Curzon, der das, was sich in der Kirche abspielte, später in lebhaften Farben schilderte: »Das Benehmen der Pilger war im höchsten Maße ungezügelt. Irgendwann veranstalteten sie ein Wettrennen um das Grab und einige tanzten fast nackt und wild gestikulierend und kreischend herum, als wären sie besessen.«
    Am nächsten Morgen traf Ibrahim in der Kirche ein, um das heilige Feuer zu sehen, aber die Menschen standen so dicht gedrängt, dass die Wachen den Weg »mit Gewehrkolben und Peitschen« freimachten, während drei Mönche »wie wild fidelten« und Frauen ein »schrilles Geheul« anstimmten.
    Ibrahim: Heiliges Feuer, heiliger Tod
    Ibrahim nahm seinen Platz ein. Dunkelheit senkte sich herab. Der griechische Patriarch zog in »feierlicher Prozession« in die Ädikula ein, die Menge harrte des göttlichen Funkens. Das Wunder geschah, die Flamme flackerte auf und wurde an den Pilger weitergereicht, »der den höchsten Preis für diese Ehre bezahlt hatte«, woraufhin es zu einem wütenden Gerangel um das Feuer kam. Pilger fielen in ekstatische Ohnmacht, dichter Rauch nahm den Anwesenden die Sicht, drei Pilger stürzten von der Galerie in den Tod, eine betagte Armenierin sackte tot auf ihrem Stuhl zusammen. Ibrahim wollte die Kirche verlassen, kam aber nicht vom Fleck. Als seine Leibwächter versuchten, ihm eine Bresche durch die Menge zu schlagen, brach eine Massenpanik aus. Als Curzon »den Platz erreicht hatte, an dem die Heilige Jungfrau während der Kreuzigung gestanden hatte«, fühlte sich der Boden unter seinen Sohlen weich an.
Unter meinen Füßen war ein Berg von Menschen. Alle tot. Viele von ihnen blau angelaufen, weil sie erstickt waren, andere blutüberströmt und mit Gehirnmasse und Eingeweiden

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