Jerusalem: Die Biographie (German Edition)
Mekka oder Istanbul, in London oder in Sankt Petersburg. 1895 veröffentlichte ein österreichischer Journalist ein Buch, das die Entwicklung Jerusalems im 20. Jahrhundert vorzeichnen sollte: Der Judenstaat . [157]
Teil IX
Zionismus
O Jerusalem: Der Eine Mensch, der liebenswürdige Schwärmer von Nazareth, hat nur dazu beigetragen, den Hass zu vermehren.
Theodor Herzl, Tagebücher
Das zornige Gesicht Jahwes schwebt über den heißen Felsen, die mehr heilige Morde, Vergewaltigungen und Plünderungen erlebt haben als irgendein anderer Ort auf Erden.
Arthur Koestler, Pfeil ins Blaue
Wenn ein Land eine Seele haben kann, so ist Jerusalem die Seele Israels.
David Ben-Gurion in einem Zeitungsinterview
Keine anderen Städte haben der Menschheit so viel bedeutet wie Athen und Jerusalem.
Winston Churchill, Der Zweite Weltkrieg , Bd. 6, Triumph und Tragödie
Es ist nicht leicht, Jerusalemer zu sein. Ein dorniger Pfad geht hier einher mit den Freuden. Die Großen sind klein in der Alten Stadt. Päpste, Patriarchen, Könige, sie alle nehmen ihre Krone ab. Es ist die Stadt des Königs aller Könige; und irdische Könige und Fürsten sind nicht ihre Herren. Kein menschliches Geschöpf wird Jerusalem jemals besitzen.
John Tleel, »I am Jerusalem«, Jerusalem Quarterly
And burthened Gentiles
o’er the main
Must bear the weight
of Israel’s hate
Because he is not
brought again
In triumph to Jerusalem.
Rudyard Kipling, »The Burden of Jerusalem«
42
Der Kaiser
1898 – 1905
Herzl
Herzl gelangte zu der Überzeugung, dass die Juden ohne ein eigenes Heimatland nie in Sicherheit würden leben können. Anfangs stellte sich Herzl, der eine merkwürdige Mischung aus Pragmatismus und Utopie repräsentierte, eine aristokratische Republik vor, ein jüdisches Venedig, regiert von einem Senat mit einem Rothschild als fürstlichem Dogen und ihm selbst als Kanzler. Seine Vision hatte weltlichen Charakter: Die Hohepriester gehen »in goldblitzenden Staatsgewändern unter Baldachinen«, die Armee wird von Kürassieren angeführt, die modernen Bürger eines modernen Jerusalem spielen Kricket und Tennis. Bei den Rothschilds, die der Idee eines jüdischen Staates grundsätzlich kritisch gegenüberstanden, fand Herzl mit seinen Träumereien wenig Anklang, aber bald entwickelte sich aus den anfänglichen Utopien ein durchdachteres Konzept. »Palästina ist unsere unvergessliche historische Heimat«, verkündete er in seinem 1896 veröffentlichten Buch Der Judenstaat . »Die Makkabäer werden wieder aufstehen. Wir sollen endlich als freie Männer auf unserer eigenen Scholle leben und in unserer eigenen Heimat ruhig sterben.«
Der Zionismus war an sich nichts Neues – selbst das Wort hatte schon ein anderer geprägt –, aber Herzl machte aus einem uralten Gefühl ein politisches Programm. Für die Juden war ihre bloße Existenz schon seit König David und vor allem seit dem Babylonischen Exil mit Jerusalem verbunden. Sie beteten gen Jerusalem, verabschiedeten sich am Seder-Abend mit dem Wunsch »Nächstes Jahr in Jerusalem« voneinander, und gedachten der Zerstörung ihres Tempels, indem sie bei Hochzeiten ein Glas zertraten und einen Winkel in ihrem Haus unmöbliert und schmucklos ließen. Sie unternahmen Pilgerfahrten nach Jerusalem, wollten am liebsten dort begraben werden und beteten, wann immer dies möglich war, an den Tempelmauern. Selbst in Zeiten blutiger Verfolgung lebten sie in Jerusalem und verließen die Stadt nur, wenn es ihnen unter Androhung der Todesstrafe verboten war zu bleiben.
Der in Europa um sich greifende Nationalismus führte zwangsläufig zur Feindseligkeit gegenüber diesem supranationalen, kosmopolitischen Volk – doch der gleiche Nationalismus war für die Juden im Zusammenspiel mit den in der Französischen Revolution gewonnenen Bürgerrechten auch ein Ansporn. Fürst Potemkin, Kaiser Napoleon und der US-Präsident John Adams glaubten ebenso an eine Rückkehr der Juden nach Jerusalem wie die polnischen und italienischen Nationalisten und, nicht zu vergessen, die christlichen Zionisten in Großbritannien und den Vereinigten Staaten. Doch die eigentlichen Pioniere des Zionismus waren die orthodoxen Rabbis, für die die Heimkehr im Zusammenhang mit messianischen Erwartungen stand. Der aschkenasische Talmudgelehrte Zwi Hirsch Kalischa aus Preußen, der 1861 das Werk Sehnsucht nach Zion veröffentlichen sollte, trat schon 1836 mit der Bitte an die Rothschilds und Montefiores heran, die Mittel für einen jüdischen Staat
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