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Jerusalem: Die Biographie (German Edition)

Jerusalem: Die Biographie (German Edition)

Titel: Jerusalem: Die Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Sebag Montefiore
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der Besuch bedeutete dem Kaiser noch mehr: Er war stolz auf sein diplomatisches Geschick im Umgang mit dem Sultan und er sah sich als protestantischen Pilger an den heiligen Stätten. Vor allem aber hoffte er den britischen Einfluss zurückzudrängen, indem er den Osmanen deutsche Unterstützung zusicherte und für sein neues Deutsches Reich warb.
    Also beschloss Herzl im Juni 1895, den deutschen Kaiser aufzusuchen und ihm zu sagen: »Lassen Sie uns ziehen.« Es schien ihm in jeder Hinsicht ratsam für seinen jüdischen Nationalstaat, »unter dem Protektorat dieses starken, großen, sittlichen, prachtvoll verwalteten, stramm organisierten Deutschland zu stehen. Durch den Zionismus wird es den Juden wieder möglich werden, dieses Deutschland zu lieben.«
    Wilhelm: die Schmarotzer meines Reiches
    Der Kaiser war als Protektor der Juden eigentlich nicht der richtige Mann. Als er 1897 davon hörte, dass Juden in Argentinien eine neue Heimat gefunden hatten, bemerkte er: »Ach, wenn wir unsere doch auch dahin schicken könnten.« Ein Jahr später schrieb er bei der Lektüre eines Berichts über den zweiten Zionistenkongress an den Rand: »Ich bin sehr dafür, dass die Mauschels nach Palästina gehen, je eher sie dorthin abrücken, desto besser.« Obwohl Wilhelm II. regelmäßig mit jüdischen Industriellen zusammentraf und mit dem jüdischen Reeder Albert Ballin sogar eine freundschaftliche Beziehung pflegte, war er im Herzen ein Antisemit, der sich gegen die »giftige Hydra des jüdischen Kapitals« ereiferte, Juden als »Schmarotzer meines Reiches« schmähte und später, als er bereits im niederländischen Exil lebte, sogar die Massenvernichtung der Juden angeblich durch Gas empfehlen sollte. Herzl aber hatte eine Ahnung, dass »die Antisemiten unsere verlässlichsten Freunde« sein werden.
    Herzl musste irgendwie an den kaiserlichen Hof vordringen. Es gelang ihm, Kontakt zu dem einflussreichen Onkel des Kaisers, Großherzog Friedrich I. von Baden, aufzunehmen, der großes Interesse an einem Projekt zur Suche nach der Bundeslade hatte. Friedrich schrieb an seinen Neffen, der wiederum Fürst Philipp zu Eulenburg bat, ihm über die zionistische Bewegung Bericht zu erstatten. Eulenburg, bester Freund und politischer Berater des Kaisers und deutscher Gesandter in Wien, sah in Herzls Plänen eine Möglichkeit, den deutschen Einflussbereich zu erweitern. Wilhelm pflichtete ihm bei, dass »die Energie, Schaffenskraft und Leistungsfähigkeit vom Stamm Sem auf würdigere Ziele als auf Aussaugen der Christen abgelenkt« werde. Wie viele Mitglieder der herrschenden Schicht seiner Zeit glaubte Wilhelm an eine mystische Kraft der Juden, über den Lauf der Welt zu bestimmen:
Dass die Juden unseren Heiland umgebracht, das weiß der liebe Gott noch besser als wir, und er hat sie demgemäß bestraft. Es ist vom weltlichen, realpolitischen Standpunkt aus nicht außer acht zu lassen, daß bei der gewaltigen Macht, die das internationale jüdische Kapital nun einmal in aller seiner Gefährlichkeit repräsentiert, es doch für Deutschland eine ungeheure Errungenschaft wäre, wenn die Welt der Hebräer mit Dank zu ihm aufblickt?!
    Und ganz in Herzls Sinne fuhr er fort:
Überall erhebt die Hydra des rohesten, scheußlichsten Antisemitismus ihr greuliches Haupt, und angsterfüllt blicken die Juden – bereit die Länder wo ihnen Gefahr droht zu verlassen – nach einem Schützer! Nun wohlan die ins Heilige Land zurückgekehrten wollen sich Schutzes und Sicherheit erfreuen und beim Sultan werde ich für sie interzedieren.
    »Wunderbar, wunderbar«, war Herzls enthusiastische Reaktion.
    Am 11. Oktober 1898 brachen Kaiser und Kaiserin zu ihrer Orientreise auf, im Gefolge der Außenminister, zwanzig Hofleute, zwei Ärzte und ein Tross von 80 Dienstmädchen, Dienern und Leibwächtern. Darauf bedacht, die Welt mit seinem Auftritt zu beeindrucken, hatte er selbst eine weiß-graue Paradeuniform mit bodenlangem Schleier nach Kreuzritterart entworfen. Am 13. Oktober verließ Theodor Herzl zusammen mit vier weiteren Zionistenführern Wien mit dem Orientexpress, im Gepäck dem Anlass angemessen Frack und Fliege sowie Tropenhelm und Safarianzug.
    In Istanbul kam es endlich zu der ersehnten Audienz beim Kaiser, der Herzl seine Unterstützung zusagte, »weil es unter der Landbevölkerung Wucherer« gebe. »Wenn diese mit ihrer Habe in die Kolonien gingen, um sich anzusiedeln, könnten sie nützlicher sein.« Herzl verwahrte sich gegen diese Verleumdung. Vom

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