Jerusalem: Die Biographie (German Edition)
Kaiser gefragt, wofür dieser sich beim Sultan verwenden solle, antwortete Herzl: »Eine Chartered Company – unter deutschem Schutz.« Am Ende der Unterredung lud der Kaiser Herzl zu einem weiteren Treffen in Jerusalem ein.
Herzl war beeindruckt. Für ihn war der Hohenzollern-Kaiser die Verkörperung imperialer Macht, aber die Wirklichkeit sah anders aus. Sicher war Wilhelm intelligent, gebildet und tatkräftig, andererseits aber auch derartig rastlos und unbeständig, dass Eulenburg befürchtete, er könne unter einer Geisteskrankheit leiden. Nachdem der Kaiser seinen Reichskanzler Otto von Bismarck entlassen hatte, übernahm er selbst das politische Ruder in Deutschland, war aber außerstande, den Kurs zu halten. Sein diplomatischer Ton war verheerend: Seine schriftlichen Mitteilungen an seine Minister waren so beleidigend, dass sie unter Verschluss gehalten werden mussten, und donnernde Reden, in denen er beispielsweise seine Truppen aufforderte, auf deutsche Arbeiter zu schießen oder unter den Feinden zu wüten wie einst die Hunnen, waren ausgesprochen blamabel. [220] Schon 1898 war Wilhelm als eine Mischung aus Hanswurst und Kriegshetzer verschrien.
Des ungeachtet unterbreitete er Abdülhamid die Pläne der Zionisten. Der Sultan wies das Ansinnen schroff von sich. Seiner Tochter erklärte er: »Die Juden können sich ihre Millionen sparen. Wenn einst mein Reich geteilt ist, können sie Palästina vielleicht umsonst bekommen. Aber nur unser Leichnam kann zerlegt werden.« Wilhelm, plötzlich voller Bewunderung für die monotheistische Strenge des Islam, verlor nach dieser Unterredung das Interesse an Herzl. [158]
Am 29. Oktober 1898 hielt Kaiser Wilhelm durch eine eigens für ihn in die Mauer neben dem Jaffator gehauene Bresche auf einem Schimmelhengst Einzug in Jerusalem.
Der Kaiser und Herzl: der letzte Kreuzritter und der erste Zionist
Der Kaiser trug seine weiße Uniform, von seiner polierten, mit dem goldenen Reichsadler verzierten Pickelhaube funkelte der weiße mit Goldfäden durchwirkte Schleier in der Sonne. Er wurde eskortiert von einem Reiterzug preußischer Husaren mit Stahlhelmen, die kreuzfahrerartige Banner schwenkten, sowie von einem Trupp Lanzenträgern des Sultans in roten Jacken, blauen Hosen und grünen Turbanen. Die Kaiserin, bekleidet mit einem gemusterten Seidenkleid mit Schärpe und einem Strohhut, folgte in Begleitung ihrer zwei Zofen in einer Kutsche.
Herzl sah sich den Einzug des Kaisers von einem Hotel aus an, in dem es von deutschen Offizieren wimmelte. Für den Kaiser war Jerusalem die ideale Bühne, um für seine Kolonialpolitik zu werben, aber nicht alle waren beeindruckt. Die russische Kaiserinwitwe fand Wilhelms Auftritt »abstoßend, vollkommen lächerlich, widerwärtig!«. Als erstes Staatsoberhaupt engagierte er für einen Staatsbesuch einen offiziellen Fotografen. Die Kreuzfahreruniform und der Schwarm von Fotografen zeigten die, wie Eulenburg es nannte, »zwei vollkommen unterschiedlichen Seiten« des Kaisers, »die ritterliche, die an die besten Tage des Mittelalters erinnert, und die moderne«.
Die Schaulustigen, hieß es in der New York Times , »waren festlich gekleidet, die Städter mit weißen Turbanen und bunten Tuniken, die Frauen türkischer Offiziere mit prachtvollen Seidengewändern, die wohlhabenden Bauern mit weich fließenden Kaftanen in leuchtendem Rot«, während die Beduinen, hoch zu Ross, »große, plumpe rote Stiefel, eine Kufiya und einen breiten Ledergürtel über der Tunika« trugen, in der ein ganzes Arsenal kleinerer Waffen steckte. Ihre Scheichs führten Speere mit sich, deren Klingen mit einem Straußenfederbusch geschmückt waren.
Am Goldenen Tor wurde Wilhelm vom Bürgermeister der Stadt, Yasin al-Khalidi, bekleidet mit einem purpurnen Umhang und einem goldumsäumten Turban, begrüßt; der sephardische Oberrabiner in weißem Kaftan und blauem Turban und sein aschkenasischer Amtskollege überreichten dem Gast eine Kopie der Thora. Am Davidstor saß Wilhelm ab und ging von hier aus mit der Kaiserin zu Fuß in die Altstadt, die aus Angst vor anarchistischen Attentätern (die österreichische Kaiserin Elisabeth war kurz zuvor ermordet worden) für Schaulustige gesperrt worden war. Als ihn die Patriarchen in der ganzen Pracht ihres edelsteinbesetzten Ornats zum Heiligen Grab führten, schlug ihm, auf den Spuren Jesu wandelnd, das Herz »schneller und heftiger« in der Brust.
Während Herzl auf die Einladung des Kaisers wartete und die Stadt
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