Jerusalem: Die Biographie (German Edition)
Maske« sei, erklärte er ihm, Moses hätte, wenn ihm etwas vom Ugandismus zu Ohren gekommen wäre, »die Gesetzestafeln noch einmal zerbrochen«. Balfour schien belustigt.
»Mr. Balfour, angenommen man würde Ihnen Paris statt London anbieten, würden Sie es annehmen?«
»Aber Dr. Weizmann, London haben wir«, sagte Balfour.
»Gewiss, aber wir hatten Jerusalem schon«, entgegnete Weizmann, »als London noch ein Sumpfgebiet war.«
»Gibt es viele Juden, die so denken wie Sie?«
»Ja, Millionen, von denen Sie nichts wissen und die nicht für sich selber sprechen können.« Balfour war beeindruckt, fügte aber noch hinzu: »Es ist merkwürdig: die Juden, die ich kennenlerne, sind so ganz anders!« Und Weizmann, der wusste, dass die meisten reichen und mächtigen Juden in Großbritannien verächtlich auf den Zionismus herabblickten, gab ihm zur Antwort: »Sie lernen die falschen Juden kennen, Mr. Balfour.«
Die Unterredung führte zu nichts, aber immerhin war Weizmann zum ersten Mal einem Staatsmann des Vereinigten Königreiches begegnet. Balfour verlor die nächsten Parlamentswahlen und es dauerte Jahre, bis er wieder einen politischen Posten bekleidete. Unterdessen rührte Weizmann die Werbetrommel für den Bau einer hebräischen Universität in Jerusalem, wohin er kurz nach seinem Treffen mit Balfour erstmals im Leben reiste. Er war begeistert von den zionistischen Bauernsiedlungen in Palästina, aber Jerusalem fand er abstoßend, »eine Stadt, die von Almosen, Bettelbriefen und Sammlungen lebte, ein elendes Ghetto, unwürdig und verkommen. Uns gehörte kein einziges anständiges Gebäude. Die ganze Welt hatte in Jerusalem Fuß gefasst, nur die Juden nicht. Ich fühlte mich unsagbar niedergedrückt und verließ die Stadt, ehe es dunkel wurde.« Wieder in Manchester, machte sich Weizmann einen Namen als Chemiker und freundete sich 1914 mit C. P. Scott, dem Herausgeber des Manchester Guardian , an, der mit der zionistischen Bewegung sympathisierte und selbst aussah wie ein biblischer Prophet. »Na, nun sagen Sie mal, Dr. Weizmann, was ich für Sie tun kann«, war seine übliche Begrüßung.
Zu Beginn des Ersten Weltkrieges wurde er zum Ersten Lord der Admiralität, dem »heiteren, bezaubernden, liebenswürdigen und energischen« Winston Churchill bestellt, der ihm verkündete: »Also, Dr. Weizmann, wir brauchen dreißigtausend Tonnen Azeton. Können Sie uns die beschaffen?« Weizmann konnte es und tat es.
Einige Monate später, im Dezember 1914, begleitete Weizmann C. P. Scott zu einem Frühstück mit Lloyd George, der zu dieser Zeit Schatzkanzler war, und dem Innenminister Herbert Samuel. Weizmann stellte fest, dass hinter der scheinbaren Oberflächlichkeit, mit der die Minister über den Krieg sprachen, in Wahrheit ein tödlicher Ernst steckte. Aber »ich war schrecklich gehemmt und gab mir Mühe, meine Aufregung zu unterdrücken«. Zu seiner Überraschung stellte er fest, dass die anwesenden Politiker der zionistischen Sache günstig gestimmt waren. Lloyd George machte später die Bemerkung: »Als Dr. Weizmann von Palästina sprach, nannte er fortwährend Namen, die mir vertrauer waren als die der Westfront.« Während des erwähnten Frühstücks bot er Weizmann an, ihn mit Balfour bekannt zu machen – offensichtlich in Unkenntnis der Tatsache, dass er diesem schon begegnet war. Weizmann war misstrauisch gegenüber Samuel – Spross einer jüdischen Bankiersfamilie mit guten Verbindungen zu den Montefiores und den Rothschilds und der erste nicht konvertierte Jude, der ins Kabinett berufen worden war –, bis er erfuhr, dass Samuel ein Memorandum über die Errichtung eines jüdischen Staates vorbereitete.
Im Januar 1915 übergab er dem Premierminister Herbert Asquith sein Memorandum, in dem es hieß: »Unter den zwölf Millionen Versprengten hat der Funke schon gezündet. Die Idee, die hebräischen Juden wieder in ihrem Land anzusiedeln, hat viele Anhänger gefunden.« Asquith machte sich über die Vorstellung lustig, die Juden könnten in Massen zurückschwärmen, und witzelte über die »interessante Gemeinde«, die das ergeben würde. Das Memorandum, so meinte er, lese sich »wie eine Neuausgabe des ›Tancred‹. [235] Ich gestehe, daß mich dieser Vorschlag, zusätzliche Verantwortung zu übernehmen, nicht gerade entzückt, doch ist es eine ulkige Illustration zu Dizzys Lieblings-Maxime ›Rasse ist alles‹, wenn man diesen fast lyrischen Ausbruch eines wohlgeordneten und methodischen Gehirns wie das
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