Jerusalem: Die Biographie (German Edition)
stürzte in eine tiefe Krise, die von bösen Vorahnungen und Existenzangst geprägt war. General Rabin, dem klar war, dass die Verantwortung für den Fortbestand Israels auf seinen Schultern ruhte, lebte nur noch von Kaffee, rauchte zahllose Zigaretten am Tag und stand kurz vor dem Zusammenbruch.
Rabin: Zusammenbruch vor dem Kampf
Um seine Chancen einzuschätzen, rief Nasser sein Kabinett zusammen und befragte eingehend seinen Vizepräsidenten und Militärchef, Feldmarschall Abdel-Hakim al-Amer, einen irregeleiteten, drogenabhängigen Lebemann, der zu den ältesten Freunden des Präsidenten gehörte.
Nasser: »Angesichts unserer Truppenkonzentration auf dem Sinai stehen die Chancen für einen Krieg 50:50. Wenn wir die Straße von Tiran schließen, gibt es hundertprozentig Krieg. Sind die Streitkräfte bereit, Abdel-Hakim (Amer)?«
Amer: »Bei meinem Kopf, Chef! Alles ist tipptopp in Ordnung!«
Am 23. Mai schloss Nasser die Straße von Tiran, den Seeweg zu Israels Haupthafen Eilat. Syrien machte mobil. König Hussein inspizierte seine Truppen. Rabin und die Generäle rieten Eshkol zu einem Präventivschlag gegen Ägypten, da sonst die Auslöschung Israels drohe. Aber Eshkol lehnte diesen Schritt ab, bevor er nicht sämtliche politischen Möglichkeiten ausgeschöpft habe: Sein Außenminister Abba Eban bemühte sich eingehend, einen Krieg auf diplomatischem Wege zu verhindern – oder für den Kriegsfall Unterstützung zu gewinnen. Rabin plagten Schuldgefühle, dass er nicht genug getan habe, Israel zu retten: »Ich hatte das berechtigte oder unberechtigte Gefühl, dass ich alles allein machen müsste. Ich war in eine tiefe Krise geraten. Seit nahezu neun Tagen hatte ich nichts mehr gegessen, nicht geschlafen, rauchte ununterbrochen und war körperlich völlig erschöpft.«
Ein schwankender Ministerpräsident, ein wie betäubter Stabschef, Generäle am Rande einer Meuterei und das Land in Panik – in dieser Lage war Israels Trauma keineswegs vorgetäuscht. In Washington weigerte sich Präsident L. B. Johnson, einen israelischen Militärschlag zu unterstützen; in Moskau riet Ministerpräsident Alexei Kossygin Nasser dringend von einem Krieg ab. In Kairo brüstete sich Feldmarschall Amer: »Dieses Mal werden wir diejenigen sein, die den Krieg anfangen«, und bereitete den Angriff auf die Wüste Negev vor. Gerade noch rechtzeitig befahl Nasser Amer, sich zurückzuhalten.
In Amman hatte König Hussein den Eindruck, dass ihm kaum etwas anderes übrigblieb, als Nasser zu unterstützen: Wenn Ägypten angriff, müsste er seinen arabischen Bruderstaat unterstützen, sonst würde man ihn für einen Verräter halten, falls Ägypten verlieren sollte. Am 30. Mai flog Hussein in Feldmarschalluniform mit einer Magnum .357 in seinem Privatflugzeug nach Kairo, wo Nasser ihn empfing. »Ihr Besuch ist geheim«, sagte Nasser, der den kleinen König weit überragte. »Was würde wohl passieren, wenn wir Sie verhaften würden?« »Die Möglichkeit ist mir nie in den Sinn gekommen«, antwortete Hussein. Er erklärte sich bereit, seine 56 000 Mann starke Armee dem ägyptischen General Riyad zu unterstellen. »Nun ist Israel von sämtlichen arabischen Streitkräften umstellt«, erklärte der König. Israel sah sich einem Krieg an drei Fronten gegenüber. Am 28. Mai hatte Eshkol eine weitschweifige Rundfunkansprache gehalten, die den Israelis nur noch mehr Angst gemacht hatte. In Jerusalem bauten sie Luftschutzbunker und machten Luftschutzübungen. Die Israelis fürchteten die Vernichtung, einen weiteren Holocaust. Eban hatte die diplomatischen Möglichkeiten ausgeschöpft, und die Generäle, die Politiker und die Öffentlichkeit hatten das Vertrauen in Eshkol verloren. Er war gezwungen, Israels angesehensten Soldaten zu holen.
Dayan übernimmt das Kommando
Am 1. Juni 1967 wurde Moshe Dayan als Verteidigungsminister vereidigt und Menachem Begin als Minister ohne Geschäftsbereich in die neue Regierung berufen. Dayan, der immer eine schwarze Augenklappe trug, war ein Anhänger Ben-Gurions und verachtete Eshkol, der ihn im Stillen nach einem gerissenen einäugigen arabischen Banditen Abu Jildi nannte.
Dayan, ein Schüler General Wingates, Stabschef des Suezkrieges und nun Knesset-Abgeordneter, steckte voller Widersprüche: Er war Archäologe, plünderte aber Kunstschätze, setzte Militärmacht zur Vergeltung ein, glaubte aber an tolerante Koexistenz, besiegte die Araber, liebte aber die arabische Kultur. Er war »hochintelligent«, wie
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