Jerusalem: Die Biographie (German Edition)
Gefängnis in Ramla gehenkt.
Auf der anderen Seite der Grenze bezeichnete König Hussein Jerusalem als seine »zweite Hauptstadt«, aber sein Regime war zu wenig gefestigt, um die Verlegung der Hauptstadt von Amman nach Jerusalem zu riskieren. Die Heilige Stadt war praktisch nur noch eine »Provinzstadt, durch deren Mitte sich ein Stacheldrahtzaun wand«. Dennoch erlangte das haschemitische Jerusalem einen Teil seines früheren Charmes zurück. Der Bruder des Königs, Prinz Muhammad, verwaltete das Westjordanland. Er hatte erst kürzlich die schöne 16-jährige Palästinenserin Firyal al-Rashid geheiratet. »Wir verbrachten sechs Monate im Jahr in Jerusalem«, erinnert sich Prinzessin Firyal, »in einer wunderschönen kleinen Villa, die den Dajanis gehört hatte, aber mein Mann war meist damit beschäftigt, mit den Christen zu verhandeln und sich um Frieden zwischen den verfehdeten Orthodoxen, Katholiken und Armeniern zu bemühen!«
König Hussein ernannte Anwar Nusseibeh zum Gouverneur und Hüter der heiligen Stätten. Die Nusseibehs waren nun so prominent wie seit Jahrhunderten nicht mehr. Anwar war zeitweise Verteidigungsminister von Jordanien, sein Bruder Hazem war Außenminister. Alle Notabelnfamilien hatten ihr Geld und ihre Olivenhaine verloren, aber viele lebten weiterhin in ihren Villen in Sheikh Jarrah. Anwar Nusseibeh wohnte mittlerweile gegenüber der Amerikanischen Kolonie in einem altmodischen Haus mit »persischen Teppichen, den goldgeprägten akademischen Urkunden an der Wand, Kristallkaraffen für Dessertweine und Liköre und Dutzenden auf Hochglanz polierten Tennispokalen«. Nusseibeh musste einen »toleranten Ökumenismus« praktizieren; jeden Freitag betete er in der Moschee, und Ostern besuchte die ganze Familie die Grabeskirche und umrundete »mit den in Roben gewandeten und mit goldenen Kreuzen behängten hohen Geistlichen siebenmal das Heiligtum«, wie sein Sohn Sari sich erinnerte. »Von allen religiösen Zeremonien gefiel diese meinen Brüdern und mir am besten, weil die christlichen Mädchen bei weitem die schönsten in der ganzen Stadt waren.«
Sari Nusseibeh erkundete »das Straßengewirr der Altstadt, in dem es nur so wimmelte von blasierten Ladenbesitzern mit ihren goldenen Taschenuhren, alten Frauen, die mit Geschirr hausieren gingen … Mit ein wenig Glück bekam ich sogar ein paar tanzende Derwische zu Gesicht. Aus den Cafés drang das blubbernde Geräusch von Wasserpfeifen.« Eugene Bird, der US-Vizekonsul, erlebte das jordanische Jerusalem als winzig: »Ich habe noch nie zuvor eine so kleine Großstadt gesehen. Die akzeptable Gesellschaft beschränkte sich auf etwa 150 Leute.« Manche der Notabelnfamilien betätigten sich in der Tourismusbranche. Die Husseinis eröffneten im Orienthaus ein Hotel. Die weißhaarige Bertha Spafford machte aus der Amerikanischen Kolonie ein Luxushotel, und die Grande Dame mit Brosche an der Brust wurde zu einer Sehenswürdigkeit der Stadt, da sie alle von Djemal Pascha bis hin zu Lawrence von Arabien gekannt hatte: Zweimal trat sie sogar in der britischen Fernsehsendung This is Your Life auf. Katy Antonius kehrte zurück und eröffnete ein Waisenhaus in der Altstadt und in ihrem Haus »ein gehobenes Restaurant mit Salon«, das nach einer lokalen Klatschkolumne Katakeet hieß. US-Vizekonsul Bird verglich sie mit den Charakteren aus T. S. Eliots Die Cocktailparty : »Sie ist schwatzhaft und durch und durch affektiert«, trägt »immer die neueste Mode, eine Perlenkette, das schwarze Haar recht kurz geschnitten« und »mit ausgeprägten weißen Strähnen«; der Sohn des Vizekonsuls, Kai Bird, schätzte sie teils als »Drachen, teils als kokett« ein. Allerdings hatte sie ihren politischen Zorn nicht verloren und erklärte: »Vor dem jüdischen Staat kannte ich viele Juden in Jerusalem. Heute schlage ich jedem Araber ins Gesicht, der versucht, mit einem Juden Geschäfte zu machen. Wir haben die erste Runde verloren, aber nicht den Krieg.«
Da die Großmächte schon immer ihre eigenen Religionsgemeinschaften unterstützt hatten, war es nicht überraschend, dass der Kalte Krieg heimlich unter den Kutten und hinter den Altären in Jerusalem »ebenso leidenschaftlich wie in den Seitenstraßen von Berlin« – der anderen geteilten Stadt – geführt wurde. US-Vizekonsul Bird riet der CIA, 80 000 US-Dollar zur Instandsetzung der goldenen Zwiebeltürme der Maria-Magdalena-Kirche Großherzogs Sergejs beizusteuern. Sollte die CIA nicht zahlen, könnte es der
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