Jerusalem: Die Biographie (German Edition)
Eroberung
630 – 660
Mohammed: Die Nachtreise
Mohammeds Vater starb bereits vor Mohammeds Geburt und seine Mutter, als er sechs Jahre alt war. Aber sein Onkel adoptierte ihn und nahm ihn mit auf Handelsreisen nach Bosra in Syrien. Dort lernte er durch einen Mönch das Christentum kennen, studierte jüdische und christliche Schriften und verehrte schließlich Jerusalem als eines der höchsten Heiligtümer. Als er Anfang der Zwanziger war, stellte eine wohlhabende, wesentlich ältere Witwe namens Chadidscha ihn ein, ihren Karawanenhandel zu leiten, und heiratete ihn später. Sie lebten in Mekka, wo sich ein heidnisches Heiligtum befand, die Kaaba mit ihrem schwarzen Stein. Die Pilger, die dieser Kult anlockte, und der Karawanenhandel machten die Stadt reich. Mohammed gehörte dem Stamm der Quraisch an, die führende Kaufleute und Hüter des Heiligtums stellten, aber sein Haschemitenklan gehörte nicht zu den mächtigen Familien der Stadt.
Mohammed, der als gutaussehend mit lockigem Haar und Bart beschrieben wird, besaß eine gewinnende Genialität – wenn er jemandem die Hand schüttelte, ließ er angeblich ungern als Erster los – und eine charismatische Spiritualität. Man bewunderte seine Integrität und Intelligenz – einer seiner Soldaten sagte später: »Er war der Beste von uns« – und nannte ihn al-Amin, den Zuverlässigen.
Wie bei Moses, David oder Jesus lässt sich heute unmöglich einschätzen, welcher Anteil an seinem Erfolg auf seine Persönlichkeit zurückzuführen ist, aber ebenso wie diese drei kam auch er genau zu dem Zeitpunkt, als er gebraucht wurde. In der Zeit der Unwissenheit vor seiner Offenbarung, der Dschahiliyya, »gab es niemanden, der verzweifelter war als wir«, schrieb einer seiner Soldaten später. »Unsere Religion war es, uns gegenseitig zu töten und zu überfallen. Unter uns gab es einige, die ihre Töchter lebendig begruben, weil sie nicht wollten, dass sie unser Brot aßen. Dann schickte Gott uns einen bekannten Mann.«
Außerhalb von Mekka gab es die Höhle von Hira, in der Mohammed gern meditierte. Der Überlieferung nach suchte ihn dort 610 der Erzengel Gabriel mit der ersten Offenbarung des einen Gottes auf, der ihn als Botschafter und Propheten auserwählt hatte. Wenn der Prophet die Offenbarungen Gottes empfing, rötete sich angeblich sein Gesicht, er verstummte, lag reglos auf dem Boden, während ihm Schweiß über das Gesicht rann; um ihn herum war ein Summen und er wurde heimgesucht von Visionen – und gab anschließend seine poetischen, göttlichen Offenbarungen wieder. Anfangs erschreckten sie ihn, aber Chadidscha glaubte an seine Berufung, und so fing er an zu predigen.
In dieser rauen, kämpferischen Gesellschaft, in der jeder Junge und Mann Waffen trug, war die literarische Überlieferung nicht schriftlich niedergelegt, sondern bestand aus einer reichen mündlich tradierten Dichtung, die Taten ehrenhafter Krieger, leidenschaftlicher Liebender und furchtloser Jäger feierte. Diese poetische Tradition nutzte der Prophet: Seine 114 Suren – Kapitel – wurden anfangs rezitiert, bevor man sie zum Koran, »der Rezitation«, zusammenstellte, einem Kompendium von erlesener Poesie, heiliger Undurchdringlichkeit, klaren Anweisungen und erstaunlichen Widersprüchen.
Mohammed war ein inspirierter Visionär und predigte Unterwerfung – Islam – unter den einen Gott für universelle Erlösung, Gleichheit und Gerechtigkeit, ein reines Leben mit leicht zu erlernenden Ritualen und Regeln für Leben und Tod. Konvertiten waren ihm willkommen. Er ehrte die Bibel und sah David, Salomo, Moses und Jesus als Propheten, deren Lehren aber von seiner Offenbarung abgelöst wurden. Für das Schicksal Jerusalems war wichtig, dass der Prophet das Kommen der Apokalypse betonte, die er das Gericht, den Jüngsten Tag oder nur die Stunde nannte, und diese Dringlichkeit prägte die Dynamik des frühen Islam. »Sie zu wissen steht ganz bei Gott«, sagt der Koran. »Woher willst du es wissen? Vielleicht ist die Stunde nahe.« Alle jüdisch-christlichen Schriften betonten, dass diese Apokalypse nur in Jerusalem stattfinden könne.
Wie seine Anhänger glaubten, hatte Mohammed eines Nachts, als er neben der Kaaba schlief, eine Vision. Der Erzengel Gabriel weckte ihn und nahm ihn mit auf eine nächtliche Reise auf Buraq, einem geflügelten Pferd mit Menschengesicht, zu dem namenlosen »fernsten Heiligtum«. Dort begegnete Mohammed seinen »Vätern« (Adam und Abraham) und seinen
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