Jerusalem: Die Biographie (German Edition)
sicher untergegangen wie andere Völker, die von ihren Göttern fallen gelassen wurden. Aber irgendwie verwandelten die Juden diese Katastrophe in die prägende Erfahrung, die Jerusalems Heiligkeit noch vergrößerte und einen Prototyp für den Tag des Jüngsten Gerichts schuf. Für alle drei Religionen machte dieses Inferno Jerusalem zum Ort der letzten Tage und der Ankunft des göttlichen Reichs. Dies war die Apokalypse – basierend auf dem griechischen Wort für »Offenbarung« –, die Jesus prophezeien sollte. Für Christen wurde sie zu einer bestimmenden, ewigen Erwartung, während Mohammed die Zerstörung durch Nebukadnezar als Zeichen deutete, dass Gott den Juden seine Gunst entzog und den Weg für die islamische Offenbarung ebnete.
Im babylonischen Exil hielten manche Judäer ihrem Gott und Zion weiter die Treue. Zur gleichen Zeit, als Homers Epen zur Nationaldichtung der Griechen wurden, begannen die Judäer, sich über ihre eigenen biblischen Schriften und ihre ferne Stadt zu definieren: »An den Wassern zu Babel saßen wir und weinten, wenn wir an Zion gedachten. Unsere Harfen hängten wir an die Weiden im Lande.« Selbst den Babyloniern gefielen, laut Psalm 137, die judäischen Lieder: »Denn die uns gefangen hielten, hießen uns dort singen und in unserm Heulen fröhlich sein: Singet uns ein Lied von Zion! Wie könnten wir des HERRN Lied singen in fremdem Lande?«
Dennoch begann hier die Bibel Gestalt anzunehmen. Während junge Jerusalemer wie Daniel am Königshof erzogen wurden und weltlichere Exilanten Babylonier wurden, entwickelten Judäer neue Gesetze, um ihre Andersartigkeit und Besonderheit hervorzuheben – sie hielten den Sabbat ein, beschnitten ihre Kinder, beachteten die Ernährungsregeln und nahmen jüdische Namen an, weil der Fall Jerusalems demonstriert hatte, was passierte, wenn sie sich nicht an Gottes Gebote hielten. [24]
Die Exilanten verewigten Babylon zwar als »Mutter der Hurerei und aller Gräuel auf Erden«, aber das babylonische Reich prosperierte und Nebukadnezar, die Nemesis Judas, herrschte über vierzig Jahre lang. Daniel behauptet allerdings, der König sei dem Wahnsinn verfallen: »er wurde verstoßen aus der Gemeinschaft der Menschen und fraß Gras wie die Rinder …, bis … seine Nägel wie Vogelklauen wurden« – eine passende Strafe für seine Verbrechen (und eine wunderbare Inspiration für William Blakes Gemälde). Auch wenn die Rache nicht vollkommen war, konnten die Exilanten sich doch zumindest über die Ironie des Schicksals in Babylon wundern: Nebukadnezars Sohn Amel-Marduk (Ewil-Merodach) war für seinen Vater eine solche Enttäuschung, dass er ihn ins Gefängnis warf, wo er Jojachin, den König von Juda, kennenlernte.
Belsazars Festmahl
Als Amel-Marduk König von Babylon wurde, befreite er seinen königlichen judäischen Freund aus dem Gefängnis. Aber 556 v.Chr. wurde seine Dynastie entmachtet: Der neue König, Nabonidus, ersetzte den Gott Babylons, Bel-Marduk, durch den Mondgott Sin und traf die exzentrische Entscheidung, die Stadt zu verlassen und seine Residenz weit entfernt nach Teima in der arabischen Wüste zu verlegen. Nabonidus befiel eine rätselhafte Krankheit, und so war sicher er derjenige (nicht Nebukadnezar, wie Daniel behauptet), der verrückt wurde und Gras fraß »wie die Rinder«.
In Abwesenheit des Königs veranstaltete der Regent, sein Sohn Belsazar, laut Bibel ein lasterhaftes Festmahl und ließ dazu »die goldenen und silbernen Gefäße herbringen, die … Nebukadnezar aus dem Tempel zu Jerusalem weggenommen hatte«; plötzlich erschienen an der Wand Gottes Worte: »Mene mene tekel u-parsin.« Entschlüsselt stand diese Botschaft für Maße und bedeutete eine Warnung, dass die Tage des babylonischen Reiches gezählt waren. Belsazar zitterte. Für die Hure Babylon stand »die Schrift an der Wand«.
Die Perser rückten 539 v.Chr. gegen Babylon vor. Die jüdische Geschichte ist voller wundersamer Befreiungen, aber diese war die dramatischste. Nach 47 Jahren »an den Flüssen Babylons« stellte die Entscheidung eines Mannes, die auf ihre Art ebenso bahnbrechend war wie die Davids, Zion wieder her. [28]
6
Die Perser
539 – 336 v.Chr.
Kyrus der Grosse
Astyages, der König Mediens in Westpersien, träumte, seine Tochter uriniere einen goldenen Strom, der sein gesamtes Reich überflute. Nach der Auslegung seiner Magier, der persischen Priester, bedeutete dieser Traum, dass seine Enkel seine Herrschaft bedrohen würden. Daher
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