Jerusalem: Die Biographie (German Edition)
Kindesopfer im Höllental
»Da fuhr aus der Engel des HERRN und schlug im assyrischen Lager hundertfünfundachtzigtausend Mann. Und als man sich früh am Morgen aufmachte, siehe, da lag alles voller Leichen.« Schlagartig brachen die Assyrer ihr Lager ab, vermutlich um einen Aufstand im Osten niederzuschlagen. »Und der König von Assyrien, Sanherib, brach auf, zog weg und kehrte wieder heim.« Jahwe sagte zu ihm: »Die Tochter Jerusalem schüttelt ihr Haupt hinter dir her.« Das war die Jerusalemer Version, aber Sanheribs Annalen verzeichnen Hiskias erdrückenden Tribut, zu dem 30 Gold- und 800 Silbertalente gehörten: Offenbar zahlte er für den Abzug der Assyrer. Sanherib reduzierte Juda auf einen bloßen Rumpfstaat, der kaum mehr als den Distrikt Jerusalem umfasste, und brüstete sich, dass er 200 150 Menschen deportiert habe. [25]
Als Hiskia kurz nach der Belagerung starb, wurde sein Sohn Manasse ein treuer Vasall Syriens. Brutal schlug er in Jerusalem jegliche Opposition nieder, heiratete eine arabische Prinzessin, machte die Reformen seines Vaters rückgängig und brachte rituelle männliche Prostituierte und Altäre für Baal und Aschera in den Tempel. Das Grauenhafteste aber war, dass er Kinder auf einem Rost – dem Tofet – im Hinnomtal südlich der Stadt opferte. [20] Er ließ sogar »seinen Sohn durchs Feuer gehen«. Während man die Kinder dorthin brachte, schlugen angeblich Priester Trommeln, um die Schreie der Opfer vor ihren Eltern zu kaschieren.
Dank Manasse wurde aus dem Hinnomtal nicht nur ein Ort des Todes, sondern Gehenna, die »Hölle« der jüdischen und später auch christlichen und islamischen Mythologie. War der Tempelberg Jerusalems eigener Himmel, so war Gehenna der Hades der Stadt.
In Babylon kam 626 v.Chr. Nabopolassar, ein chaldäischer General, an die Macht und begann, das Assyrerreich zu zerstören. Seine Taten hielt er in den babylonischen Chroniken fest. Eine Allianz aus Babyloniern und Medern brachte 612 v.Chr. Ninive zu Fall. Als Manasses achtjähriger Enkel Josia 639 v.Chr. die Thronfolge antrat, begann anscheinend ein goldenes Zeitalter unter der Regentschaft eines Messias. [26]
5
Die Hure Babylon
586 – 539 v.Chr.
Josia: der revolutionäre Erlöser
Es war ein Wunder: Das böse Assyrerreich war zerfallen und das Königreich Juda frei. König Josia dehnte sein Reich möglicherweise nördlich in ehemals israelisches Gebiet aus, südlich in Richtung des Roten Meeres und westlich in Richtung Mittelmeer. Im achten Jahr seiner Regentschaft fand der Hohepriester Hilkija in den Kammern des Tempels eine vergessene Schriftrolle.
Josia erkannte die Macht dieses Dokuments, einer frühen Version des Buches Deuteronomium (griechisch für »zweites Gesetz«), das vermutlich zu den Schriftrollen gehörte, die man nach dem Fall Israels nach Süden gebracht und während der Verfolgungen durch Manasse im Tempel versteckt hatte. Josia versammelte die Judäer im Tempel, stellte sich neben das totemistische Symbol, die Königssäule, und verkündete seinen Bund mit dem einen Gott, die Gesetze einzuhalten. Dann beauftragte der König seine Gelehrten, die alte Geschichte der Judäer neu zu erzählen und die mythischen Erzväter, die heiligen Könige David und Salomo sowie die Vergangenheit Jerusalems zu einer einzigartigen Geschichte zu verschmelzen, um die Gegenwart zu erhellen. Das war ein weiterer Schritt zur Entstehung der Bibel. Tatsächlich wurden diese Gesetze rückdatiert und Moses zugeschrieben, aber die biblische Schilderung des Tempel Salomos spiegelte sicher das reale, aber wesentlich spätere Jerusalem Josias wider, des neuen Davids. Von nun an wurde der heilige Berg im Hebräischen zu nichts Geringerem als ha-Makom : dem Ort.
Der König ließ die Götzenbilder im Kidrontal verbrennen, die männlichen Tempelhuren vertreiben, die Altäre für Kindesopfer im Höllental zerschlagen und die Götzenpriester töten, indem er ihre Knochen auf ihren Altären zermalmte. [21] Josias Revolution klingt gewalttätig, fanatisch und puritanisch. Anschließend hielt er ein Passahfest. »Seinesgleichen war vor ihm kein König gewesen.« Aber er ließ sich auf ein gefährliches Abenteuer ein. Als der ägyptische Pharao Necho an der Küste entlangzog, fürchtete Josia, die assyrische Vorherrschaft gegen die ägyptische einzutauschen, und zog ihm entgegen, um ihn aufzuhalten. Aber der Pharao schlug die Judäer 609 v.Chr. vernichtend bei Megiddo und tötete Josia. Obwohl er gescheitert war, hatte
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