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Jerusalem: Die Biographie (German Edition)

Jerusalem: Die Biographie (German Edition)

Titel: Jerusalem: Die Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Sebag Montefiore
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Familien beäugen sich in ständiger Rivalität. »Die Nusseibehs haben nichts mit uns zu tun«, erklärt der 80-jährige Judeh, der seit 20 Jahren den Schlüssel aufbewahrt, »sie sind bloß Türhüter!« Nusseibeh betont: »Die Judehs dürfen weder die Tür noch das Schloss anrühren.« Das lässt vermuten, dass die islamischen Rivalitäten ebenso stark sind wie die unter den Christen. Wajeehs Sohn Obada, ein Personal Trainer, wird ihn einmal beerben.
    Nusseibeh und Judeh verbringen einen Teil des Tages im Vorraum der Grabeskirche, wie es ihre Vorfahren seit 800 Jahren getan haben – aber sie sind nie gleichzeitig dort. »Ich kenne hier jeden Stein, es ist wie ein Zuhause«, überlegt Nusseibeh. Er verehrt die Kirche: »Wir Muslime glauben, dass Mohammed, Jesus und Moses Propheten sind und Maria sehr heilig ist, darum ist dieser Ort es für uns auch.« Wenn er beten möchte, kann er gleich nebenan in die Moschee gehen, die zur Einschüchterung der Christen gebaut wurde, oder er geht zu Fuß fünf Minuten bis zur al-Aqsa-Moschee.
    Während der Rabbi zur Westmauer geht und Türhüter Nusseibeh das Steinchen an seinem Fenster hört, das ihm die Schlüsselübergabe ankündigt, tritt Adeb al-Ansari aus dem mameluckischen Haus seiner Familienstiftung, Waqf , im muslimischen Viertel. Der 42-jährige Vater von fünf Kindern geht in einer schwarzen Lederjacke die Straße zum Bab al-Ghawanmeh an der Nordostecke des Tempelbergs hinauf, vorbei an den blau gekleideten israelischen Polizisten am Eingang – ironischerweise sind häufig Drusen oder galiläische Araber eingeteilt, die Juden fernzuhalten –, und betritt den Haram al-Sharif.
    Die Plattform des Tempelbergs hat bereits eine elektrische Beleuchtung, sein Vater brauchte noch zwei Stunden, um alle Laternen anzuzünden. Ansari begrüßt die Wachleute des Haram, öffnet die vier Haupteingänge des Felsendoms und anschließend die Portale der al-Aqsa-Moschee. Das dauert eine Stunde.
    Die Ansaris können ihre Abstammung auf die Ansaris zurückführen, die mit Mohammed von Mekka nach Medina emigrierten, und behaupten, Omar habe sie zu Hütern des Haram ernannt, gesichert ist, dass Saladin sie in diesem Amt bestätigte. (Das schwarze Schaf der Familie war der Scheich des Haram, der sich von Monty Parker bestechen ließ.)
    Die Moschee wird eine Stunde vor dem Morgengebet geöffnet. Diese Aufgabe erledigt Ansari nicht mehr jeden Morgen persönlich – mittlerweile hat er ein Team –, aber als er die Nachfolge als Erbwächter antrat, tat er es allmorgendlich voller Stolz: »In erster Linie ist es ein Job, dann ist es aber auch eine Familienaufgabe und eine enorme Verantwortung, aber vor allem ist es ein edles, heiliges Werk. Es wird allerdings nicht gut bezahlt. Ich arbeite außerdem noch an der Rezeption eines Hotels auf dem Ölberg.«
    Nach und nach verschwinden die Erbämter auf dem Haram. Die Shihabis, eine andere Notabelnfamilie, die von libanesischen Fürsten abstammt und im Haus ihrer Familienstiftung nahe der Kleinen Mauer lebt, waren früher Hüter des Bartes des Propheten. Der Bart und das Amt sind verschwunden, aber der Ort besitzt nach wie vor eine magnetische Anziehungskraft: Die Shihabis arbeiten immer noch auf dem Haram.
    Während der Rabbi zur Westmauer geht, Nusseibeh an die Tür der Grabeskirche klopft und Ansari die Tore des Haram öffnet, verlässt Naji Qazaz das Haus an der Bab-al-Hadid-Straße, das seine Familie seit 225 Jahren bewohnt, und geht die wenigen Meter durch die alten Mameluckengassen, die Stufen hinauf durch das Eiserne Tor auf den Haram. Er begibt sich direkt in die al-Aqsa-Moschee in einen kleinen Raum, in dem ein Mikrofon und Flaschen mit Mineralwasser stehen. Bis 1960 stieg die Familie Qazaz noch auf das Minarett, aber mittlerweile benutzen sie diesen Raum und bereiten sich auf den Gebetsruf vor wie Sportler. Zwanzig Minuten lang macht Qazaz Dehnübungen, ein Athlet der Heiligkeit, atmet durch und gurgelt mit Wasser. Dann prüft er, ob das Mikrofon eingeschaltet ist, und sobald die Wanduhr anzeigt, dass es Zeit ist, wendet er sich der Qibla zu und beginnt mit dem Gebetsruf, dem Adhan, der über die Altstadt hallt.
    Die Qazaz sind seit 500 Jahren, seit der Regentschaft des Mameluckensultans Qaitbay, die Muezzine der al-Aqsa-Moschee. Naji ist seit dreißig Jahren Muezzin und teilt sich diese Aufgabe mit seinem Sohn Firaz und zwei Vettern.
    Es ist eine Stunde vor Morgengrauen in Jerusalem. Der Felsendom ist geöffnet: Muslime beten. Die

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