Jerusalem: Die Biographie (German Edition)
nicht, sondern marschierte an der Küste entlang Richtung Ägypten und befahl Jerusalem, Proviant für seine Armee zu liefern. Anfangs weigerte sich der Hohepriester, allerdings nicht lange: Als die Stadt Tyrus Alexander Widerstand leistete, belagerte er sie und ließ nach der Einnahme alle Überlebenden kreuzigen.
Anschließend zog Alexander »sogleich auf Jerusalem zu«, wie der jüdische Geschichtsschreiber Flavius Josephus wesentlich später schrieb. Nach seiner Darstellung hießen der Hohepriester in purpur- und scharlachrotem Gewand und alle Jerusalemer in weißen Kleidern den Eroberer willkommen und führten ihn zum Tempel, wo er dem jüdischen Gott opferte. Diese Schilderung entsprang vermutlich Wunschdenken: Wahrscheinlicher ist, dass der Hohepriester gemeinsam mit den Anführern der halbjüdischen Samaritaner Alexander bei Rosh-Haayin an der Küste seine Aufwartung machte, und er ihnen nach Kyrus’ Vorbild das Recht zugestand, nach ihren eigenen Gesetzen zu leben. [28] Anschließend eroberte er Ägypten, gründete dort die Stadt Alexandria und zog weiter nach Osten, um nie wieder zurückzukehren.
Nachdem Alexander das Perserreich zerschlagen und seine Hegemonie bis nach Pakistan ausgedehnt hatte, machte er sich an sein großes Projekt: Perser und Makedonier zu einer einzigen Elite zu verschmelzen, die seine Welt beherrschen sollte. Auch wenn ihm das nicht ganz gelang, veränderte er die Welt doch stärker als jeder andere Eroberer der Geschichte, indem er seine Version von Hellenikon – griechische Kultur, Sprache, Dichtung, Religion, Sport und homerisches Königtum – von der Wüste Libyens bis an das Bergland Afghanistans verbreitete. Die griechische Lebensweise wurde so universell wie die britische im 19. Jahrhundert oder die amerikanische heutzutage. Von nun an kamen nicht einmal die monotheistischen jüdischen Feinde dieser philosophischen und polytheistischen Kultur umhin, die Welt durch die Brille des Hellenismus zu sehen.
Am 13. Juni 323 v.Chr., acht Jahre nach der Eroberung der damals bekannten Welt, lag Alexander im Alter von nur 33 Jahren in Babylon entweder durch ein Fieber oder ein Gift im Sterben. Seine treu ergebenen Soldaten defilierten mit tränenüberströmten Gesichtern an seinem Sterbebett vorbei. Als sie ihn fragten, wem er sein Königreich vererbt habe, antwortete er: »Dem Stärksten«. [32]
Ptolemäus: Die Sabbatplünderung
Der Wettkampf, den Stärksten zu finden, gestaltete sich als 25-jähriger Krieg zwischen Alexanders Generälen. Jerusalem ging zwischen diesen makedonischen Kriegsherren hin und her, die der Welt »viele Drangsale bereiteten«. Im Duell zwischen den beiden führenden Rivalen wechselte die Herrschaft über Jerusalem sechsmal. Fünfzehn Jahre lang regierte der einäugige Antigonos Jerusalem, bis er 301 v.Chr. im Kampf getötet wurde und der Sieger, Ptolemäus, vor den Stadtmauern eintraf, um Anspruch auf Jerusalem zu erheben.
Ptolemäus war Alexanders Vetter und ein erfahrener General, der an Kämpfen von Griechenland bis nach Pakistan teilgenommen und dort die makedonische Flotte auf dem Indus befehligt hatte. Kurz nach Alexanders Tod erhielt er Ägypten. Als er erfuhr, dass Alexanders Leichenzug auf dem Weg nach Griechenland war, eilte er durch Palästina, bemächtigte sich des Leichnams und brachte ihn in seine Hauptstadt Alexandria. Der Wächter des höchsten griechischen Talismans, Alexanders Leichnams, wurde zum Hüter seiner Flamme. Ptolemäus war nicht nur Feldherr: Sein kräftiges Kinn und die derbe Nase, die sein Bild auf Münzen zeigt, täuschten über seine Raffinesse und seinen gesunden Menschenverstand hinweg.
Ptolemäus erklärte den Jerusalemern, er wolle am Sabbat in die Stadt kommen, um dem jüdischen Gott zu opfern. Die Juden, die ihren Ruhetag hielten, glaubten dieser List, und Ptolemäus eroberte die Stadt, was die fanatische Religiosität der Juden offenkundig machte. Sobald an diesem Sabbat die Sonne unterging, wehrten die Juden sich jedoch. Daraufhin zogen Ptolemäus’ Truppen marodierend durch Jerusalem – »und die Häuser werden geplündert und die Frauen geschändet werden. Und die Hälfte der Stadt wird gefangen weggeführt werden«, wie es bei Sacharja heißt. Vermutlich postierte Ptolemäus eine makedonische Garnison in der Festung Baris, die Nehemia nördlich vom Tempel gebaut hatte, und er deportierte Tausende Juden nach Ägypten. In Ptolemäus’ prunkvoller Hauptstadt Alexandria gründeten sie die griechischsprachige
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