Jerusalem: Die Biographie (German Edition)
Kombination aus Monarch, Papst und Ayatollah: Er trug vergoldete Gewänder, einen schimmernden Brustharnisch und einen kronenähnlichen Turban mit einer goldenen Blume, nezer genannt, dem Symbol des Lebens und der Erlösung, ein Relikt des Kopfschmucks der Könige von Juda. Jesus Ben Sirach, der als Verfasser des Buches Jesus Sirach als Erster die sakrale Dramaturgie der blühenden Stadt schilderte, schrieb, Simon sei »wie ein hochragender Zypressenbaum«.
Jerusalem hatte sich zu einer Theokratie entwickelt – dieses Wort erfand der Geschichtsschreiber Flavius Josephus für diesen Kleinstaat, in dem die gesamte Souveränität und alle Macht in der Hand Gottes lag. Strenge Vorschriften regelten den Alltag in allen Einzelheiten, denn es bestand keine Unterscheidung zwischen Politik und Religion. In Jerusalem gab es weder Statuen noch geschnitzte Bilder. Der Sabbat wurde besessen eingehalten. Sämtliche Vergehen gegen die Religion wurden mit dem Tod bestraft. Für Hinrichtungen gab es vier Methoden: Steinigung, Verbrennen, Enthauptung und Strangulation. Ehebrecher wurden durch die gesamte Gemeinschaft gesteinigt (allerdings warf man die Verurteilten vorher von einer Klippe, so dass sie in der Regel während der Steinigung bewusstlos waren). Ein Sohn, der seinen Vater schlug, wurde stranguliert. Ein Mann, der mit einer Mutter und ihrer Tochter Unzucht trieb, wurde verbrannt.
Mittelpunkt jüdischen Lebens war der Tempel: Dort kamen der Hohepriester und sein Rat, der Sanhedrin, zusammen. Jeden Morgen riefen die Trompeten zum ersten Gebet wie der Muezzin im Islam. Viermal täglich erschallten die sieben silbernen Trompeten und forderten die Gläubigen auf, sich im Tempel niederzuwerfen. Die Hauptrituale des jüdischen Kultus waren die Opferung eines makellosen Schafes, Rinds oder einer Taube, die zweimal täglich, morgens und abends, auf dem Altar im Tempel erfolgte und immer mit einem Rauchopfer auf dem Räucheraltar einherging. Das Wort »Holocaust« kann von dem hebräischen Wort olah , »aufsteigen«, abgeleitet werden, das sich auf die Verbrennung des ganzen Tieres bezieht, dessen Rauch zu Gott »aufsteigt«. Die Stadt muss nach dem Tempelaltar gerochen und der Gestank verbrannten Fleischs sich mit dem köstlichen Duft nach Zimt und Kassia aus den Räucherfässern gemischt haben. Kein Wunder, dass die Menschen viel Myrrhe, Narde und Balsam als Parfüm benutzen.
Zu den Festtagen strömten Pilger nach Jerusalem. Am Schafstor nördlich vom Tempel trieb man Schafe und Rinder für die Opferung zusammen. Zum Passahfest wurden 200 000 Lämmer geschlachtet. Den feierlichen, überschwänglichen Höhepunkt des Jahres bildete in Jerusalem das Laubhüttenfest, bei dem Männer und Mädchen in weißen Gewändern auf den Tempelhöfen tanzten, sangen, brennende Fackeln schwangen und Festessen abhielten. Alle sammelten Palmwedel und Zweige, um auf den Dächern ihrer Häuser oder auf den Tempelhöfen Hütten zu bauen. [34]
Doch selbst unter der Herrschaft des reinen Simon gab es viele weltliche Juden, die vermutlich wie wohlhabende Griechen aussahen und in ihren neuen griechischen Palästen am westlichen Hang der Oberstadt lebten. Was fanatische jüdische Konservative für heidnische Verunreinigung hielten, sahen diese Kosmopoliten als Zivilisation an. Damit begann in Jerusalem ein neues Entwicklungsmuster: Je heiliger die Stadt wurde, umso mehr spaltete sie sich. Zwei Lebensweisen existierten auf engstem Raum nebeneinander mit der innigen Feindschaft einer Familienfehde. Und nun bedrohte das berüchtigtste Ungeheuer seit Nebukadnezar die Stadt – und die Existenz der Juden. [36]
Antiochus Epiphanes: der verrückte Gott
Jerusalems Wohltäter, Antiochus der Große, war rastlos: Nun schickte er sich an, Kleinasien und Griechenland zu erobern. Aber der allzu selbstbewusste König von Asien unterschätzte die wachsende Macht der Republik Rom, die gerade Hannibal und Karthago besiegt und die Vormachtstellung im westlichen Mittelmeer errungen hatte. Rom wehrte Antiochus’ Angriff auf Griechenland ab, zwang den Großkönig, sich mit seiner Flotte und seinem Elefantenkorps zu ergeben und seinen Sohn als Geisel nach Rom zu schicken. Antiochus zog unverzüglich nach Osten, um seine Staatskasse aufzufüllen, wurde aber bei der Plünderung eines persischen Tempels getötet.
Von Babylon bis Alexandria zahlten Juden nun eine jährliche Abgabe an den Tempel in Jerusalem, und die Stadt war so reich, dass ihre Schätze die Machtkämpfe
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