Jerusalem
Regenguss fluteten breite Lichtbalken auf die Dächer der Stadt. In die Gesichter der Menge trat der Ausdruck gläubigen Staunens oder beginnender Besessenheit.
Der Bischof von Le Puy trat zu Gregorio und Urban.
»Ich, Adhemar von Monteil, will auf dem Weg Gottes schreiten. Aus der Hand des Papstes erbitte ich das Kreuz. Segne mich, Fels der Christenheit!«, rief er demütig.
Viele erinnerten sich daran, was auch Rutgar wusste: dass der Bischof, zu Pferde und in Waffen als Krieger der Kirche ungeschlagen, vor neun Jahren ins Heilige Land gereist war. Adhemar fiel vor Urban auf das rechte Knie, und Urban reichte ihm zwei Stoffstreifen, die ein junger Priester aus dem Gewand eines neben ihm Stehenden gerissen hatte.
»Dir, Bruder im Glauben«, rief Urban II., »erteile ich den Segen des Herrn und ernenne dich zum Anführer aller Gläubigen, zum Befehlshaber dieser Reise und aller Mühen.«
Adhemar stand auf, und während er demütig den Segen empfing, befestigte er die roten Stoffstreifen in Kreuzesform auf seiner Brust. In diesem Augenblick, erkannte Rutgar, hatte Urban II., also die Kirche, die Führung des Kreuzzugs übernommen. Kardinal Gregorio sank am Rand des Podiums in die Knie und stimmte das Confiteor an. Zuerst hörte Rutgar nur einzelne, unsichere Stimmen, dann ertönte, lauter und mächtiger aus Hunderten Stimmen, das Gebet. Er stimmte murmelnd mit ein. Überall erschienen Kreuze aus roten Bändern.
Als im strahlenden Sonnenschein, der die nassen Dächer der Stadt mit unirdischem Glanz übergoss, das Bekenntnis geendet hatte, stand Urban vom Thronsitz auf und erteilte langsam und lautstark die Absolution: »Ego vos absolvo ...«
Er schloss mit den Worten:
»Geht nun auseinander, ihr Milites Christi, ihr Soldaten Christi und Streiter im Herrn, und redet mit allen darüber, was heute geschah. Die Bischöfe und ich werden beraten und das Konzil beenden. Wenn ihr aber eure Gelübde ablegt, so sollt ihr wissen, dass die Abreise zur bewaffneten Wallfahrt auf nächstes Jahr, auf den Tag der Himmelfahrt unserer seligen Jungfrau, festgesetzt wurde.«
In einer langen Prozession nahmen die Würdenträger den Weg zum Tor und in die Stadt. Noch länger brauchte die Menge, um sich zu zerstreuen.
Die Stadt war überfüllt, das Gedränge schwitzender Menschen in nassen Kleidern in den Gassen unentwirrbar. Ob durch Gottes Fügung oder blanken Zufall: Auf der Suche nach einem kräftigen Imbiss außerhalb der Abteimauern traf Jean-Rutgar einen der anderen Begleiter des päpstlichen Trosses, Robard, der sich »Vicomte« nannte. Er packte Rutgar am Handgelenk, zog ihn in eine überfüllte, rauchige Schänke und sagte:
»Seine Heiligkeit und seine trinkfesten Bischöfe weilen noch eine Handvoll Tage hier in Clermont. Wein her!«
»Bei Adhemar wird er's gut haben«, antwortete Rutgar und packte den Becher, ehe ihn der betrunkene Nachbar zur Linken erreichte. »Was willst du mir damit sagen, Vicomte Robard?«
»Er braucht uns. Mich und dich. Große Dinge werden sich tun, Gevatter.« Er hob den schartigen Holzbecher. »Wir sollen ihn begleiten, nach Limoges, nach Poitiers, Tours und bis zum Brachmond oder Heumond zurück nach Nîmes. Graf Raimund von Toulouse wird ihn empfangen und begleiten. Gehst du mit uns?«
»Zahlt der Papst so gut wie bisher?«
»Er vertraut uns. Wir kommen durch halb Frankreich und hören tausend Predigten. Jede wird sich anhören wie die Rede, die er heute geführt hat. Kommst du mit? Dank des Pontifex ist Gott mit uns allen.«
Sie tranken und starrten einander über die Ränder der Becher in die Augen.
»Ja«, antwortete Rutgar. »Ich hab nichts Besseres und nichts Schlechteres zu tun. Glaubst du, dass Urbans Aufruf Erfolg haben wird?«
»Hab mich umgehört«, meinte Robard. »Es wird sein wie Hochwasser, wie eine Sturzflut, und vielleicht wird das Vorhaben den Händen der Bischöfe und der Fürsten entgleiten. Ja, sie alle werden die roten Kreuze tragen.«
Jean-Rutgar nippte am säuerlichen Wein und hörte, wie sein Magen knurrte. »Ich bin auf der Suche nach einem Jugendfreund, Thybold von Les-Baux. Hast du seinen Namen gehört? Ist er in Clermont?«
Der Vicomte schüttelte den Kopf und entfernte einen Strohhalm aus dem Wein. »Nein. Nicht dass ich wüsste. Komm, gehen wir zu den Mönchen. Dort bekommen wir Essen und können ruhig schlafen. Dort hören wir auch alle Neuigkeiten und Nachrichten.«
Rutgar nickte, leerte den Becher und schob sich hinter dem breiten Rücken des
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