Jerusalem
zufrieden in einer der ersten Reihen des Gestühls.
Der letzte Nachhall des mönchischen Chores verklang zwischen den Säulen und im Querschiff. Die Mauern schluckten die Geräusche. Von draußen vernahm man das Geläut der Glocken der Abtei. Der Erzabt hörte, wie das Tuscheln lauter wurde, zischelnder, als erwarte man etwas Besonderes; bisweilen wagte jemand ein spöttisches Gelächter, das blitzschnell unterdrückt wurde. Starr und würdevoll, wie Figuren auf einem Schachbrett, bewegten sich die Gäste.
Für lange Augenblicke schwieg das Getuschel. Wieder neigte Erzabt Hugo das Haupt, und die Chöre der Mönche begannen zu singen, machtvoll, wie die Fundamente und Säulenstümpfe der neuen Kirche. Geistige Macht und Stolz, diese Waffen des Herrn, kennzeichneten die Abtei Cluny. Hunderte Abteien und Priorate folgten ihren Anweisungen. Der Boden, auf dem die Abtei dem Himmel entgegenstrebte, gehörte weder dem französischen Königtum noch dem Kaiserreich. Und daher würde Cluny und ebenso ihm, Abt Hugo, auch die geistliche Führung über jene Heere anheimfallen, die gen Osten zogen, nach Konstantinopel, dem östlichen Rom.
Abt Hugo seufzte lautlos. Er sehnte sich nach seinem weichen Lehnstuhl, einem Krug Wein aus der Bourgoigne oder der Provençe, nach dem Gespräch mit seinem Cellerar oder der Lektüre eines guten Buches in genussvollem Schweigen, nach Kissen und Kaminglut für seine kalten Füße und Zehen. Aber die eilige Zeit verstrich; er vermochte sie nicht anzuhalten.
Robert d'Abrissel, heute im schmucklosen Ornat des wandernden Predigers, zerteilte die Weihrauchschwaden auf seinem Weg zu den Stufen, die zur Kanzel hinaufführten. Lange hatte er über den Inhalt seiner Predigt nachgesonnen; er wusste, dass der Herr auch ihn abermals mit Engelszungen würde reden lassen, sobald er die Gläubigen mit seinen ersten Sätzen in den Bann seiner Rede geschlagen hatte.
Langsam nahm er Stufe um Stufe. Dicke Sohlen des neuen Schuhwerks hielten die Kälte des Steins von seinen Zehen fern. Er erreichte die Kanzel, legte das Brevier auf die Brüstung und fühlte die Blicke aller, als ob ihn Tausende und Abertausende abwartend anstarren würden, wie jene brünstig tobenden Versammelten, die vor den Mauern von Clermont ihre Mäntel und Wamse zu Streifen zerrissen und daraus Kreuze auf ihre Schultern geheftet hatten.
»Ihr Gläubigen! Hier und heute, zur Messe des heiligen Apostels Andreas, zu Cluny im Burgund, wird uns die wahre, heilige Aufgabe des Christentums abermals aufgezeigt.«
Seine Stimme war klar und unbeirrt, ohne auch nur den Hauch eines Zweifels darüber, dass er, der sich nun selbst so erhöht hatte, umso tiefer fallen mochte.
»Der heilige Andreas, der Bruder des heiligen Apostels Petrus, hat zu Patras den Märtyrertod erlitten. Sein Leib ist zu Konstantinopel begraben, dort, wohin unsere Heere ziehen werden. Sie folgen, wie der Apostel, dem Rufe Gottes. Das Evangelium des Matthias sagt uns: ›Als unser Herr Jesus Christus am Galiläischen Meer hinwandelte, sah er zwei Brüder. Simon, der Petrus genannt wird, und seinen Bruder Andreas, die mit dem Netz fischten ...‹«
Er las das Evangelium vor und fügte eigene Worte hinzu; er schloss, die Hand mit dem Buch hoch erhoben: »Den Andreas liebte unser Herr Jesus Christus gleich süßem Wohlgeruch. Alleluja. ›Folget mir nach. Ich will euch zu Menschenfischern machen‹, sagte er zu den Brüdern. Und so sage ich euch: Folget meinem Wort zum Grab Jesu Christi, nach Jerusalem, verjagt die Ungläubigen, deren Untaten heute auf seinem Grab lasten wie ein Fluch, der schwerer wiegt als alle Gebirge zusammen.«
Er machte eine Pause, holte tief Luft, und glutvoller Redneratem durchfuhr ihn. Pfingstliche Feuerzungen des Heiligen Geistes schienen ihn zu umlodern, als er weitersprach. Seine volltönende Stimme füllte die Kirche bis in die letzten Ecken der Langschiffe.
»Euch, Ihr Herren, ist die Irrlehre der Ungläubigen bekannt! In der Provençe und in ganz Okzitanien weiß wohl jeder, was im Buch der Heiden steht, das sie den ›Koran‹ nennen. Fast jeder von Euch, Ihr wackeren Herren und Kriegsknechte, hat auf dem Boden Spaniens im Zeichen der Reconquista gegen die Mauren gekämpft. Es soll Männer von Macht und Ehre geben, die sich vom Glanz und der Tapferkeit der muslimischen Sarazenen haben einlullen lassen, aber dies kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie dem heidnischen Götzen Mahomet dienen und einer langen Tradition der Gräuel und der
Weitere Kostenlose Bücher