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Jerusalem

Titel: Jerusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns Kneifel
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der Wellen, die gegen das Ufer klatschten, mischte sich fernes Grollen. Rutgar führte das Pferd zu der Hütte aus Lehmziegeln und Flechtmatten, aus deren Dach grauer Rauch sickerte. Die Dunkelheit unter den Wolken nahm zu.
    »Es wird ein schweres Gewitter geben«, sagte Chersala.
    Rutgar sah im Geschiebe der Wolken ein Sinnbild für den Kampf des reinen Herzens gegen das Böse. In Abständen, die dem Herzschlag glichen, erhellte fahles Licht die Mauern und die schwarz gähnenden Fensteröffnungen. »Willst du uns einen trockenen Unterschlupf suchen?«
    Chersala streckte die Hand aus und ergriff den Dolch in Rutgars Waffengurt. Die fadenscheinigen Stoffstreifen hatten sich gelöst. Nach kurzem Nachdenken wickelte Rutgar den Stoff ab, schleuderte ihn zur Seite und gab Chersala den verzierten, dick vergoldeten Griff der Stichwaffe in die Hand. Sie deutete mit der nadelfein geschliffenen Spitze zur Fischerhütte und sagte: »Vergiss nicht zu sagen, dass uns Vater Gautmar geschickt hat.«
    Sie lief nach links auf einen Durchlass zu, Rutgar näherte sich der Hütte. Er spähte durch den Eingang und sah einen muskulösen weißbärtigen Mann, der inmitten dichter Rauchwolken Fische zerschnitt, blutige Gräten zur Seite schabte, die Fischhälften in körniges Salz warf und mehrmals wendete. Große Stücke Fisch schwankten, auf einer Schnur aufgefädelt, unter dem Dach der Hütte.
    »Du bist der Fischer Faroard, nicht wahr? Gautmar, der Schmied von Drakon, schickt mich!«, rief Rutgar. »Seine Tochter hat mich hergeführt. Wahrscheinlich werde ich dir etwas Gold für deine Hilfe geben müssen.«
    Faroard rammte das Messer, das länger als sein Unterarm war, in einen Holzblock und wischte Fischschuppen von den Unterarmen und Händen. Er schob ein Stück Treibholz in die Glut und kam aus dem Halbdunkel seiner Hütte, in der Salzfisch im heißen Rauch hing, ins Freie hinaus. Er starrte Rutgar und dann die dräuenden und kämpfenden Wolken an und sagte:
    »Gold ist schwerer als Fisch. Gold ist immer gut. Was willst du, Fremder?« Er hustete kernig und spuckte geräuschvoll aus.
    »Hier übernachten, ohne dass mir und Gautmars Tochter die Hälse durchgeschnitten werden.« Rutgar begegnete den misstrauischen Blicken des Fischers. »Alles andere erzähl ich dir später.«
    »Wenn Vater Gautmar schon seine Tochter mit dir schickt ...«
    Es dauerte weniger als eine halbe Stunde, bis der Rappe in einem trockenen Unterstand frisches Gras fraß, ein zweites Feuer zwischen zerbrochenen Mauersteinen und einer zerbrechlichen Balkendecke im Mittelpunkt eines einstigen Saales brannte und Rutgar, Chersala und der Fischer Wein tranken und Fisch aßen, in gewürztem Öl gebraten. Chersala buk Fladenbrot auf einem flachen Stein. Die Wolken über dem Meer kamen näher und wurden blauschwarz; aus Wolkenlöchern zuckten Balken glühenden Lichts zu Boden, und harte Sturmstöße warfen gischtende Wellen am Ufer auf.
 
    Die Furt durch das Rinnsal, das im See mündete, hielt die Pilger nicht auf, ebenso wenig wie die Zeichen am sich verdunkelnden Himmel in der Ferne. Als Rainalds Truppe durch das erste Dorf gezogen war, das die Franken geplündert und halb niedergebrannt hatten, teilte sich die Menge in verschiedene Haufen und schwärmte aus.
    Entlang der Ufer des Askanischen Sees, weit vor den Mauern Nikaias, galoppierten und rannten die bewaffneten Pilger. Hätten sie nicht schon gewusst, dass in den Dörfern seit vielen Generationen griechische Christen lebten, so hätten sie sowohl die Kirchen und die Kreuze als auch die Priester vor übermäßiger Grausamkeit gewarnt. So verschonten sie zumindest die Bewohner. Dennoch starrten die Dörfler den Pilgern hinterher, als wären Heuschreckenschwärme, gewaltige Ziegenherden und hungrige Nachtwesen über ihr Land gezogen. An den Ufern schwenkten die Plünderer zur Seite und warfen begehrliche Blicke auf die Türme Nikaias am östlichen Ende des Sees, die sich im Wasser spiegelten.
    Von Seldschuken unbelästigt, durchstreiften die Horden die Dörfer, kauften, stahlen, tauschten und raubten, bis ihre berittenen Späher eine Grenzburg entdeckten. Sie lag auf einem stattlichen Hügel, zwei Stunden Fußmarsch östlich von Nikaia. Von einem der Landbewohner erfuhr Rainald den Namen: »Xerigordon. Mit geringer Besatzung.«
    »Auf nach Xerigordon!«, rief Rainald. »Ein guter Platz, um zu rasten.«
    Die Pilger sammelten sich und drangen über die Straße hinweg ins Hügelland vor.
    »Ein Lager für uns. Wir

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