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Jerusalem

Titel: Jerusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns Kneifel
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rechts.
    »Ein feiner Willkommensgruß«, sagte er mit rauer Stimme. »Ob er für dich und mich gedacht ist?«
    »Nein. Sieh hin, Ritter: Die Knochen sind uralt.«
    Zu beiden Seiten des Durchgangs hingen menschliche Skelette. Verrostete Ketten wanden sich um Hälse und Brustkörbe. Wie Bündel aus Gebeinen oder Beutetiere, deren Fell und Fleisch die Aasfresser abgenagt hatten, hingen vielleicht ein Dutzend Skelette da, die Knochenfinger an rostblattrigen Waffen. Sechs Skelette an jeder Seite des Tors. Chersala und Rutgar sahen bis zur Unkenntlichkeit zerrostete Helme, einige Fetzen Kleidung, zernagtes Leder und die unergründlichen Blicke aus den Augenhöhlen, in denen verschiedenfarbige Kiesel steckten. Rutgar glaubte die braunen Zähne in den Kiefern rattern zu hören.
    »Fremde Helme«, sagte Rutgar, riss kurz am Zügel und setzte die Sporen ein. Ihn schauderte, Chersala presste zitternd beide Arme um ihn. Plötzlich schien die Luft eiskalt zu wehen und die Eichenblätter welken zu lassen. Auf verwitterten Schilden, die wahllos verstreut zwischen den Gerippen hingen, erkannten sie undeutlich die Zeichen des Kreuzes. Jetzt bekreuzigte sich Rutgar und lenkte den Rappen durch das Felsentor. »Keine fränkischen Helme, keine Krummschwerter von Türken.«
    Einige Dutzend bockiger Galoppsprünge, dann fiel der Schwarze in Trab zurück; Chersala und Rutgar atmeten tief ein und aus, als sie wieder die Wärme der Sonnenstrahlen spürten.
    »Vor vielen Jahren, Rutgar, sind hier Ritter und Pilger durchgezogen, ohne dass es Streit gab. Das haben uns die Alten im Dorf erzählt.«
    Rutgar ließ den Schwertgriff los und streichelte Chersalas gespreizte Finger auf seinem Kettenhemd.
    »Es gab anscheinend doch Streit«, murmelte er. »Aber er geht uns nichts mehr an.«
    Die Wolken hatten sich, wie gierige Hände, nach rechts und links ausgebreitet und stiegen anwachsend und lautlos brodelnd der Sonne entgegen. Das Band unter ihnen war schwarz wie Ruß, von Blitzfeuern hinter unsichtbaren Barrieren durchzuckt. Die Hitze der frühen Mittagssonne nahm zu und wurde unerträglich; das Summen der Fliegen und Hummeln klang wie weiß glühende Wut.
    Ein Rund tat sich auf, das aus Schlingpflanzen, kleinen Büschen mit welken Blättern und vielen Felsen bestand, die wie zersplitterte Zähne aussahen. Dahinter erhoben sich auf einem Felssockel die Reste wuchtiger Mauern aus Quadern und Gesteinsbrocken; das uralte Gebäude ohne Dächer erinnerte Rutgar an die Burgruine in der Provençe.
    »Das ist die Burg ohne Namen«, sagt Chersala. »Auf der anderen Seite ist der Hafen. Ein riesenhaftes Bauwerk.«
    »Weißt du mehr darüber als dein Vater?«
    »Nein«, antwortete sie. »Man hat die Burg gebaut, als der Vater meines Großvaters jung war.«
    Es gab keinen erkennbaren Weg. Der Rappe tänzelte zwischen Dornenranken, Grasbüscheln und unzähligen verwelkten Blumen von einem Felszahn zum anderen. Heruntergefallenes Geröll hatte vor dem Felssockel zufällig einen schmalen Pfad geschaffen, dem Rutgar folgte. Er umrundete Mauern, Erker, Turmschäfte und Vorsprünge zur Hälfte und erreichte ein Stück Weg, das zu einem Tor führte, dessen Flügel längst vermodert waren. Aber von hier aus überblickten er und Chersala ein langes Stück felsiges Ufer und einige Strände. Ein Wellenbrecher aus Steinen, Felsbrocken und eingerammten Baumstämmen krümmte sich in den niedrigen Uferwellen. Am Rand eines Platzes, der unterhalb der Mauern einige Handbreit über dem Wasser vorsprang, standen windschiefe Hütten. Rauch schwelte aus einem Schilfdach.
    »Dort ist das Boot von Faroard«, sagte Chersala und zögerte; das Sonnenlicht wich mit erschreckender Plötzlichkeit. Schatten krochen über die Mauern und Turmreste. »Wir sind am Ziel.«
    »Es ist ein Gemäuer, das schwer anzugreifen, aber auch schlecht zu verteidigen ist«, antwortete Rutgar, lenkte den Rappen in die verfallene Hafenanlage und stieg ab. Er half Chersala herunter und schaute sich um. »Ihr wisst wirklich nicht, wer die Burg gebaut hat?«
    Chersala schüttelte den Kopf, ihr fast hüftlanges Haar flog im Uferwind.
    Das Fischerboot war leer und mit vier Tauen an hölzernen Pollern festgemacht. Die Burg erhob sich in der Mitte einer halbkreisförmigen Bucht, in der schaumgekrönte Wellen gegen das Ufer anrollten. Die Wolken, die von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang den Himmel bedeckten, schienen zu brennen, zu rauchen und zu schmelzen. Wetterleuchten zuckte über dem Horizont. In das Geräusch

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