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Jerusalem

Titel: Jerusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns Kneifel
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ihnen nicht befohlen, zu plündern und zu schänden! Deinen Grafen auch nicht. Sie tun's aus eigenem schwarzem Herzen«, sagte der Schmied stirnrunzelnd.
    Rutgar schüttelte den Kopf.
    »Ich weiß nicht mehr, was ich glauben soll. Ich hoffe, er straft mich nicht dafür, dass ich nicht von glühendem Eifer für den Heiligen Krieg beseelt bin.«
    »Gott, sagen die Priester, ist mit den Sanftmütigen«, brummte Gautmar und warf die Hufeisenzange auf einen klirrenden Haufen erkaltetes Werkzeug. »Auch wenn ihr Lohn auf Erden gering ist.«
    Rutgar senkte den Kopf, zog die Schultern hoch und wusste nichts darauf zu antworten. In der Gemeinschaft der Dörfler Drakons fühlte er sich geschützt und geborgen, und er zauderte nicht mehr, wenn er an die nächtlichen Wonnen mit Chersala dachte, deren dankbare Leidenschaft er geweckt hatte. Vor ihrem Liebesspiel in der Nacht hatte sie ihm geschworen, nicht schwanger zu werden; wie dies gehen mochte, hatte ihm nicht einmal Ragenarda erklären können.
    Aber das war kein Geheimnis des Glaubens, sondern eines der Frauen.

Kapitel XIII
 
A.D. 1096, 29. T AG DES H ERBSTMONDS (S EPTEMBER ),
IM 2. M ONAT DES GRIECHISCHEN J AHRES 6605, M ITTAG
V OR X ERIGORDON
 
»Deine Bosheit ist zu groß, und deiner Missetaten ist kein Ende.«
(Hiob 22,5)
 
    Auf dem Sandpfad, der Straße der Dörfler zur Küste, blieb Chersala hinter Rutgar auf dem Pferderücken; wenn der Pfad anstieg oder schwierig zu begehen war, stiegen beide ab und führten den ausgeruhten Rappen, dessen Ohren erregt zuckten und spielten, am langen Zügel. Grillengezirp war überall, und in den Büschen sägten Zikaden. In den Baumkronen fauchte und summte der Wind vom Meer; Rutgar glaubte Möwenschreie hören zu können und von fern den Gesang der Pilger, die in Civetot ein frühes Messopfer feierten. Aber die Rauchsäule vom Lager her schien kleiner zu sein als zuvor. Über den Buchten und dem offenen Meer im Westen türmten sich mächtige Wolken, die, wenn der Nordwind anhielt, ein Gewitter bringen konnten. Falken jagten rüttelnd entlang des Ufersaums.
    Chersala legte den Arm um Rutgars Hüfte und sagte: »Vater Gautmar vertraut dir.« Sie lachte. »Mir vertraut er auch. Er hat es mit seiner widerspenstigen Tochter nicht leicht.«
    »Ich werde dich sicherlich nicht fragen«, antwortete Rutgar ausweichend, »ob du mit mir ins Heilige Land wandern willst.«
    Sie lachte noch lauter und länger. »Du machst dir zu viele Sorgen, Grünauge.«
    Er zuckte mit den Schultern, warf ihr von der Seite einen Blick zu und duckte sich unter überhängenden Ästen. Wenige Straßen, die ohne Schwierigkeiten begangen werden konnten, und offensichtlich sehr viele Wege und Pfade, die nur die Einheimischen benutzten, durchzogen das Küstenland. Rutgar hatte so viele überwucherte, halb verfallene und rätselhafte Spuren gefunden, Hinterlassenschaften früherer Bewohner; vielleicht wusste Berenger mehr darüber. Selbst der Schmied kannte weder deren Namen noch deren Bedeutung.
    »Wenn ich sorglos wäre«, meinte er, »hätte ich bald Grund, mich zu fürchten. Ich kämpfe nicht für Beute und Land oder gegen die Türken.«
    Der Wind winselte und jaulte stärker und begann nach Salz und Feuchtigkeit zu riechen, die Wolken ballten sich zu mächtigen Türmen über dem Meer. Sie mussten lauter reden, um einander verstehen zu können; der Weg führte in Schlangenlinien in einen schütteren Wald, an dessen Ende die Sonne eine Wand schrundiger Felsen anstrahlte.
    »Hinter den Felsen wirst du die Burg sehen können«, sagte Chersala. »Bald wird der Weg besser.«
    Am Fuß des Hügels kletterten sie auf den Rücken des Pferdes und ritten über den weichen Waldboden auf die Felsen zu. Die Wolkengebirge begannen ihre Farbe zu ändern; die Ränder glänzten wie flüssiges Metall oder geschliffene Schwertklingen. Das Sonnenlicht färbte sich schweflig. Unter den Wolken breitete sich über dem Meer ein schwarzes Band aus.
    Der Rappe trabte zwischen verkrüppelten Stämmen. Die Felsen wurden schroffer, je näher Rutgar ihnen kam. In ihrer Mitte entstand ein wirrer Torbogen, ein Durchgang im Gestein, so hoch und breit, dass die Krüppelbäume des Waldes hindurchwucherten. Als Rutgar auf den Felsenbogen zuritt, riss der Rappe den Kopf hoch, spreizte alle viere und blieb ruckartig stehen. Er wieherte erschreckt, während Rutgar und Chersala sich an der Mähne und am Sattel festklammerten. Rutgar gab den Zügel frei, beruhigte das Pferd und deutete nach

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