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Jerusalem

Titel: Jerusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns Kneifel
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beladen, wie es tragen konnte. Hitze und Staub und die Erwartung von noch mehr Staub und Hitze und die ständige Bereitschaft, sich gegen einen Überfall wehren zu müssen, marterten die Geduld der christlichen Pilger; dieses Mal gab es keinen Kukupetros, der sie mit unerschütterlicher Geduld und Gotteszuversicht anführte.
    Die griechischen Söldner und die Kundschafter fanden in der ungeheuren Brache verborgene Quellen, aber das ausgeplünderte Land bot keinen Proviant, nur staubiges Gras, Disteln und Dornenranken. Der Weg führte durch eine durstige, aber großartige Landschaft. Links der Straße ragten in der Ferne die nackten Berge eines Gebirgszugs auf, dessen griechische oder muslimische Namen kein Pilger verstand; karstige Hügel und Gipfel, die höher schienen als der Mont Ventoux, das kahle Wahrzeichen von Rutgars Heimat. Zur Rechten begann eine Steppe, die am Horizont gen Sonnenuntergang in gelbe, salzige Wüstenei überging. Der Zug wurde an den Stellen, an denen man nur in Zweierreihen reiten konnte, vielleicht drei oder vier Meilen lang; es dauerte drei Stunden und länger, bis die staubbedeckte Nachhut sich an jener Stelle vorbeischleppte, an der die Kundschafter den Rittern zuerst die Richtung gewiesen hatten.
    Vorräte und Wasser wurden knapp. Wenn man im Karst vereinzelt Quellen fand, so enthielten sie nur wenig Wasser. General Tatikios und die Ritter gerieten in Streit, wenn die Söldner versuchten, die Pilger aufzuhalten. Sie stürzten sich auf die spärlichen Rinnsale und zerwühlten die Erde, bis die Quellen versiegten und ein breiiger, salziger Sumpf entstanden war. Die Hitze marterte Mensch und Tier; nirgends gab es Schatten. In langen Abständen breiteten sich abseits des Weges, der durch Sand, Geröll und an Felsbrocken vorbeiführte, große Sumpfflächen aus. In diesen flachen, salzigen Teichen wuchs nur eine Art Schilf, aus dem mitunter große Vögel mit langen Hälsen und Hakenschnäbeln aufflogen, unerreichbar für Pfeile und Armbrustbolzen.
    In den Nächten wütete auf diesem Hochland eisige Kälte. Die ersten Pferde, die kein Futter gefunden und deren Reiter nicht genug Wasser mitgeschleppt hatten, brachen unter ihren Reitern zusammen und verendeten. Manche Pilger tranken das heiße Blut der Tiere, weideten die Kadaver aus und brieten Fleischstücke an Feuern, die vom Holz der ungenießbaren Dornengewächse genährt wurden. An Stelle der zusammengebrochenen Ochsen schirrten die Pilger Hunde, Ziegen und Schafe vor die Karren und stemmten sich selbst ins Geschirr. Trugbilder, die in dem unerträglichen Sonnenglast flirrten, narrten die Marschierenden: Sie sahen fremde Reiter, wo es nur Sandteufel und Staubwirbel gab.
    Die vieltausendköpfige Menge teilte sich binnen weniger Tage in viele Tausend einzelne Schicksale. Jeder Mann, jede Frau, jedes Tier empfand das Leiden auf besondere Art. Es war sinnlos und tödlich, jetzt umzukehren und zu versuchen, sich zu retten. Ebenso sicher starb, wer sich am Wegrand hinsetzte und das letzte Wasser trank. Das wussten selbst die Schafe und Ziegen und stolperten ohne Blöken und Meckern zwischen den Pilgern durch die Hitze.
    Rutgar und die anderen Reiter, die an den steilsten und schwierigsten Stellen ihre müden Tiere am Zügel hinter sich herzogen, stießen immer wieder auf Steinhaufen am Wegrand, in denen Kreuze aus dürren Ästen steckten; sie hatten es längst aufgegeben, sie zu zählen. Der Umstand, dass die Nachhut überlebte - nur drei Pferde mussten getötet werden -, war der Vorsicht zu verdanken. Viele Zeichen, die nur die Kundschafter erkannten, deuteten auf Wasserstellen hin. Deren karger Ertrag und die schweren Saumtier-Lasten an Proviant, Futter und vollen Ziegenbälgen ermöglichten das Überleben. Hier brauchte niemand einen Angriff der Seldschuken zu befürchten.
    Das Städtchen Philomelion erschien ihnen allen als letzter, halb vergessener Hort von paradiesischer Schönheit. Danach träumten sie nur noch von einem Ort, an dem alle Sorgen endeten, an dem statt faulender Wassertümpel in breiten, mit Kies und Geröll gefüllten Flussbetten wieder kaltes Brunnenwasser sprudelte. Ein Todkranker, den die Nachhut fand, berichtete ihnen, dass der Bischof von Orange dem Grafen Raimund von Toulouse die Sterbesakramente erteilt habe; Gottfried von Boulogne indes sei von einem Bären angefallen und verwundet worden.
    »Das kann glauben, wer will«, sagte Berenger und rang sich ein Grinsen ab. »Auf dieser Hochsteppe aus Sand und Stein leben

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