Jerusalem
Gray und Dudo von Konz-Saarburg, führte den ersten Heerzug an, als die Pilger Antiocheia verließen. Die Eremiten, unter ihnen Peter von Amiens, stimmten ein hoffnungsfrohes Lied an. Die Ritter wussten, dass ihnen ein schwieriges Stück Weges bevorstand - weit vor ihnen warteten die Bergpässe; ebenso weit dahinter wartete die Stadt Philomelion. Mit doppelten und dreifachen Vorräten an Wasser wollten die Pilger das Elend in glühender Sonnenhitze erträglicher machen.
Balduin von Bourq, Canon von Montaigu und Gottfried von Esch gelang es, sich mit einigen einheimischen Führern zu verständigen. Bald wusste auch der Tross des ersten Heeresteils, dem sie vorausritten, dass die Pilger sich dem Rand einer Hochebene näherten, in deren Mitte Ikonion lag; mehr als hundert Meilen trennten die Stadt vom pisidischen Antiocheia. Herzog Robert erfuhr von seinem Kaplan, der es von Priestern in Antiocheia wusste, dass den Pilgern größere Entbehrungen bevorstanden als bisher. Ikonion war angeblich von Kilidsch Arslan zu seiner neuen Hauptstadt erklärt worden; also stand den Rittern am Ende des zehrenden Marsches ein harter Kampf bevor. Jetzt aber, rief Raimund von Saint-Gilles, von zehrender Krankheit gezeichnet, mit schwacher Stimme, kenne man die Weise, in der die Feinde kämpften, und könne frohgemut mit dem Segen des Herrn gen Ikonion reiten.
Die Hochebene schien sich von einem Ende zum anderen über tausend Meilen zu erstrecken. Jeder Schritt war mühsam, jeder Klafter eine Qual. Jede Meile, also tausend Doppelschritte, erschreckte die Pilger mit einer anderen Strafe. Zuerst zogen nacheinander an fünf Morgen mächtige graue Wolken von den Bergen her und legten sich über die schier endlose Fläche. An fünf aufeinanderfolgenden Mittagen ging schwerer, kalter Regen nieder, der zwar die Staubschichten von der Haut wusch, sie aber in die Kleider spülte, die nicht trockneten und sich im Wind und in Stürmen in schwere, eisige Panzer verwandelten, die jeden Fingerbreit Haut blutig schabten. Die Kälte und das Wasser verwirrten die Sinne der Menschen ebenso wie die der Tiere. Das schwere Zeug zerrte an den Schultern und zehrte an den Kräften.
Am sechsten Tag brach wieder die Hitze des zu Ende gehenden Heumonds über die Wanderer herein. Schweiß und Staub verbanden sich zu einer stinkenden Paste, von der die Haut bis aufs Blut aufgescheuert wurde. Wenn sich die Pilger aus Schmerz der verhärteten Kleidung entledigten, rötete und verbrannte die Sonne ihre Haut binnen weniger Stunden, sodass sie nachts bei jeder Bewegung stöhnten, wimmerten und schrien.
In den kalten Nächten hatte sich über die Einöde ein gewaltiger Himmel gestülpt; es schienen andere Sterne zu sein als über dem Abendland. Auch der Mond, der glühend rot oder eitergelb aufging und verschwand, drohte als schmaler werdende Sichel wie eine himmlische Waffe. Die Reiter des Generals, die um glimmende Feuerchen aus den letzten Holzkohlen und splitternd trockenen Dornenranken hockten, nannten fremde Sternbilder und erzählten wüste Geschichten von edlem Verrat, unfassbar schönen Frauen, wilden Ritten, Kämpfen und mächtigen Kriegern, von Goldschätzen und qualvollem Sterben. Von seinen Gefährten lernte Rutgar verschiedene Schriftzeichen, mit Dolchspitzen in Sandstaub geritzt, lernte das Griechisch der Söldner aus Konstantinopel und andere Sprachfetzen und erfuhr vieles, wenn auch längst nicht alles von den kämpferischen Wirren zwischen Muslimen, Rhomäern und Armeniern; es waren Erzählungen aus einer weit zurückliegenden Zeit, in der jedes Stückchen fruchtbaren Landes mehrfach den Besitzer gewechselt hatte.
Hin und wieder führte der Weg an großen Feldern schilfartiger Gewächse vorbei. Es schienen die verwilderten Reste einstmals angebauter Pflanzen zu sein, die jetzt in Reife standen. Die Söldner nannten sie »Kannamellis«, »Honigrohr«, und schnitten sie in handlange Stücke. Aus dem harten Mark tropfte Saft, süßer als Honig, den die Pilger aus Hunger saugten. Der Saft war besser als das erzwungene Darben, aber er sättigte nicht.
Der jähe Wechsel zwischen Regengüssen, Kälte und trockener Hitze ließ viele Pilger keuchen, husten, würgen und erkranken. Feldscher und Wundärzte, selbst durstig, hungrig und mit zitternden Gliedern, waren ratlos. Es waren nur wenige Eingeborene im Tross, aber sie halfen, wo sie konnten. Trotzdem starben Neugeborene, Kinder, Frauen und Männer; über die Ritter hielt der Herr seine Hand, und nur
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