Jerusalem
in einen Kessel neben dem Feuer fallen.
Rutgar setzte sich, ließ die Schultern sinken und sagte: »Vom langen Schlafen ist mir, als wäre ich betrunken.« Chersala schob ihm einen leeren Napf zu. Rutgar nickte und hörte plötzlich das laute Knurren in seinem Bauch. »Sind die jüngsten Gerüchte schon zu uns durchgedrungen?«
»Wir brechen in zwei Tagen auf. Alle. Die Heerhaufen bleiben zusammen«, antwortete Radvan, der sich auf der anderen Seite von Chersala niedergelassen hatte. Er füllte einen Becher und stellte ihn zu Rutgars Napf. »Hier, Ritter. Heißer Sud mit Honig und mit Gewürzen aus der Beute.«
Das süße Gebräu schmeckte fremdartig und löschte augenblicklich den Durst. Rutgar stand auf und ging zu den Frauen am Feuer, die seinen Napf füllten und ihm zwei Fladenbrote gaben, an denen er sich fast die Finger verbrannte. Hinter dem Erdwall trabten ein Dutzend Kriegsknechte vorbei, in erbeuteten Sätteln, auf Sarazenenpferden, in fremden Kleidern und sauberen Panzerjacken. Sie lachten und johlten; bisher waren sie sicherlich zu Fuß unterwegs gewesen.
»Am dritten Tag des Heumonds, also in zwei Tagen, sitzen wir wieder im Sattel«, sagte Chersala. »Berenger ist mit dem General bei den Fürsten. Sie haben zwei Kundschafter aus dem Süden bei sich.«
»Wegen des weiteren Weges«, fügte Radvan hinzu. »Nach Ikonion.«
An tausend Stellen im Lager wurde gehämmert, gesägt und gedengelt. Die Schwertfeger schliffen mit ihren kreischenden Werkzeugen eigene und erbeutete Blankwaffen. Es stank nach rohen Zwiebeln und Lauch, kochendem Pech, schmorendem Horn und verbranntem Fleisch. Aber trotz aller Geschäftigkeit lag eine erkennbare Schläfrigkeit, die Erschlaffung nach dem teuer erkauften Sieg, über der Talebene und hielt sich im Schatten der Oasenbäume.
Rutgar dachte daran, dass Kilidsch Arslan ihnen sein Land schwerlich kampflos überlassen oder ihnen freien Durchzug gewähren würde. Er warf Chersala und Radvan unschlüssige Blicke zu, drehte den Kopf und ließ die Bilder und Bewegungen der Umgebung auf sich einwirken. Einige Atemzüge lang wähnte er sich im Mittelpunkt eines gewaltigen Strudels aus Menschen, Dingen und Unverständlichem; er flüsterte: »Was tue ich eigentlich hier?«, lachte grundlos und sagte: »Ich hab von hundert Tagen voller Kämpfe geträumt. Und vom Sterben in Antiochia.«
»Erst einmal«, sagte Radvan leise, mit einem Gesichtsausdruck, als ahne er kommendes Verderben, »werden General Tatikios und die Fürsten über die Beute und alles andere beraten. Und dann sehen wir weiter, Rutgar. So schnell stirbt es sich nicht.«
Rutgar stützte die Ellbogen auf die Platte und sagte über den Rand des Holzbechers hinweg: »Glaub's nicht, Junge. Es stirbt sich schnell. Manche von uns sind schon tot und wissen es nur noch nicht.«
An Herrn Neidhart in Sankt Marien zu Köln am Rhein schreibt Jean-Rutgar aus Les-Baux:
Wir schlugen eine große Schlacht bei Dorylaion. Man hat wohl an die achttausend Tote gezählt. Von der ersten bis zur sechsten Stunde des Tages, also vom Morgengrauen bis Mittag, haben die Seldschuken unablässig angegriffen. Beide Heere kamen, mit Gottes Hilfe, in der vierten Stunde zum Schlachtfeld, und nur der Herr in seiner Allwissenheit könnte uns, den Verwundeten, Sterbenden, Tapferen, Kämpfenden und wütenden Verteidigern, sagen, ob der einäugige Raimund und Gottfried von Bouillon den Sieg herbeiführen konnten oder ob es Bischof Adhemar mit seinem klugen Flankenangriff war. Unsere Reihen wurden dichter und kraftvoller durch die Ankunft der Gefährten, die mit Kraft, Entschlossenheit und ohne Furcht mit der Mächtigkeit ihrer Waffen die Heiden in die Flucht schlugen und mit ausdauernder Beharrlichkeit verfolgten. Durch Berge und Täler ritten unsere Fürsten und ihre Vasallen auf ihren schweren Pferden hinter ihnen her, aber wir, die Reiter der Generäle Butumites und Tatikios, waren schneller. Als wir die Lager der Seldschuken erreichten, luden einige der Unsrigen das erbeutete Gepäck und auch die Zelte der Feinde auf viele Pferde und Kamele, die der Sultan in seinem Erschrecken im Stich gelassen hatte, und bis zum Anfang der Nacht töteten wir viele Seldschuken. Da aber unsere Pferde und wir selbst von Anstrengungen erschöpft waren, konnten wir nur wenige Gefangene machen, aber weder der Sultan noch seine Emire und Effendis gerieten in unsere Hände. Die Heiden aber flüchteten weiter und weiter, drei Tage lang, obwohl wir sie nicht mehr
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