Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Jerusalem

Titel: Jerusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns Kneifel
Vom Netzwerk:
Eidechsen und Skorpione. Ein Bär? Vielleicht ist er vom Himmel gefallen! Aber Tatikios hat beschlossen, dich und deinen Knappen mit einigen Münzen zu beschenken. Betrachtet euch also als Söldner des Basileus.«
    »Es gibt Schlimmeres«, antwortete Rutgar. Reiter und Pferde waren von gelblichem Staub bedeckt. »An unserem Gehorsam, Mut und Geschicklichkeit soll's jedenfalls nicht mangeln.«
 
    Die Sterne und der Mond erschienen in den kalten Nächten zum Greifen nah, heller strahlend als an jedem anderen Ort, unbarmherzig niederstarrend auf das Elend der Pilger. Berengers Befehle sorgten dafür, dass die kostbaren Pferde so gut versorgt wurden, wie es ging; besser fast als ihre Reiter. Man wusch ihnen den ätzenden Staub aus den Nüstern, Ohren und Augen, versorgte die Risse der Dornen, reinigte Sättel und Satteldecken und leerte nacheinander die Ziegenbälge im Licht der kleinen Feuer, über denen Wasser für die Reinigung der Gesichter erhitzt und kräftiger Sud gekocht wurde. Teile der Zelte wurden als Windschutz aufgestellt, in dem die Reiter sich im sandigen Boden Schlafgruben herauskratzten. Kein Tropfen Wasser durfte verschwendet werden. Die Traglasten wurden geringer, das Trockenfutter schwand ebenso dahin wie die harten Brotfladen, der versteinerte Käse und das schmierige Öl. Der Hunger war zu ertragen.
    Vorbei an zerstörten Brücken, durch knochentrockene Furten, an den Ruinen von Häusern entlang, hatten Chersala und Rutgar Schritt um Schritt erfahren, dass viele Bewohner dieses Landes vor den Seldschuken in diese Region geflohen waren. Der Basileus hatte ihnen einstmals Land als Lehen gegeben, und von einigen Siedlungen aus konnten sie sich erfolgreich gegen die Seldschuken wehren. Diese Bewohner, Armenier genannt, vermehrten sich rasch und dehnten ihr Herrschaftsgebiet so weit aus, dass weiter im Osten einige Fürstentümer entstanden waren, die der Kaiser zu Konstantinopel in sein Reich eingliedern wollte. Die Armenier waren zwar Christen wie der Basileus, aber ihre Religion unterschied sich von dem Glauben, dem die Rhomäer anhingen. Also blieb den freiheitsliebenden Armeniern nichts anderes, als sich gegen den Basileus wie auch gegen den Sultan Kilidsch verteidigen zu müssen. Aber da sie die Straßen zwischen dem Reich des Alexios Komnenos und Jerusalem beherrschten - so berichteten die einheimischen Führer -, betrachteten Gottfried und die Ritter die Armenier als ihre neuen Freunde, und diese sahen in den Franken reiche Geschenke des Himmels und bewaffnete Glaubensbrüder.
    Die Zerstörungen und die Armut der wenigen Siedlungen waren also die Folgen langer Kämpfe und lagen zum Teil viele Jahre zurück. Polybolos, Antiocheia, Philomelion ... die Namen der Städte klangen so unverständlich wie die Geschichte dieses kargen Landes und die Wut der Seldschuken-Krieger, die jeden Brunnen entlang des Wegs verdorben hatten.
    Rutgar starrte in die Glut, aus der noch winzige Flammen züngelten. Die Pferde standen, Decken über den Körpern, ruhig hinter dem Windschutz. Ein Sternensplitter zuckte weiß aufflammend über das Firmament. Das Lager der Pilger zeichnete sich als Schattenriss am Horizont ab. Winzige Gestalten bewegten sich vor dem Glutschein oder den Flammen der Feuer. Obwohl die Ritter und die Pilger aus fünf oder mehr Heeren, aus Dutzenden Fürstentümern und Grafschaften in verschiedenen Sprachen redeten, konnten sie sich miteinander verständigen, und in Stunden der Gefahr wusste jeder, was er zu tun hatte. Aber auch in dieser Nacht waren Durst und Entbehrungen, Krankheiten und eiternde Wunden die einzigen Gefahren.
    »Wir alle, die Kundschafter, werden, denke ich, leidlich unversehrt in Antiocheia einreiten«, sagte Berenger aus dem Halbdunkel. Er kam zum Feuer und maß sich einen halben Becher Sud ab. »Wenn nicht schon der Sultan die Stadt eingenommen und verwüstet hat.«
    Er setzte sich zu Rutgar und Chersala auf einen Sattel. Schnarchen und schwere Atemzüge kamen von den Schlafenden, die sich in Decken und Mäntel eingewickelt hatten. Radvan sagte zögernd: »Wir haben bisher kaum Spuren seiner Truppen gesehen, Berenger. Keine Feuerstellen, keinen Pferdekot, nichts.«
    »Sie wären leichtsinnig oder sogar vermessen, wenn sie sich hier verstecken wollten«, antwortete Rutgar an Berengers statt. Die Kälte der Luft und des Bodens sickerte langsam durch die Decken und die Kleidung. Rutgar schüttelte sich. »Sie würden ebenso verdursten wie wir.«
    »Aber sie beobachten jeden

Weitere Kostenlose Bücher