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Jerusalem

Titel: Jerusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns Kneifel
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Griffe der Knechte, die diese Lagerarbeit selbst nach diesen Entbehrungen schweigend und schnell verrichteten, brachten Ordnung in den Wirrwarr.
    Die Tausendschaft unter General Tatikios' Befehl - Reiter, Belagerungshandwerker, Gespannführer und Fußsöldner - schlug ihr Lager an einem Teich neben einem halb verfallenen Bauernhof auf, abseits der abgeernteten Felder. Kaum standen die ersten Zelte im Schutz der Gespanne, entledigten sich die Männer ihrer Waffen, sattelten die Pferde ab und führten sie, nachdem sich die Tiere satt gesoffen hatten, zum Tümpel. Es war dies ein alltägliches Ritual, eine eingeübte und als überlebenswichtig erkannte Selbstverständlichkeit, denn von den Reittieren und den Saumpferden hing ihrer aller Leben ab; mit großer Sorgfalt wurden die genügsamen Tiere gewaschen, gebürstet und gestriegelt, Mähnen und Schweife gekämmt und alle aufgescheuerten Stellen, eiternde Mückenbisse und Wunden mit der berüchtigten schwarzen Salbe bestrichen. Schreiber Arkadios hatte einige armenische Siedler ausfindig machen lassen, ihnen reichlich Silber gezahlt und die Erlaubnis erhalten, die Pferde im Schatten der Obstbäume weiden zu lassen. Armenische Führer und zwei Dutzend Kundschafter ritten zum Kastell und durch die Hügel, die das Tal eingrenzten. Die Gerüchte hatten sich bewahrheitet: Abermals war das Heer des Sultans geflüchtet.
    Ikonion, erfuhren die Anführer, von den westlichen Römern vor grauer Urzeit gegründet und zu Lebzeiten des Apostels Paulus von zum wahren Glauben Bekehrten besiedelt, hatte seit dreizehn Jahren eine seldschukische Besatzung gehabt und dem Sultan Tribut gezollt. Dass es jetzt wieder zum Reich des Basileus im fernen Konstantinopel gehören sollte, verwunderte keinen Bewohner, erschreckte auch niemanden - die Armenier, im ständigem Kampf mit den Seldschuken, nahmen dieses Schicksal als gottergeben hin. Raimund von Toulouse erhielt vom Bischof von Orange die Sterbesakramente, worauf das Fieber jäh von ihm abfiel und er in einen Schlaf sank, der einer Bewusstlosigkeit glich. Zum nächsten Ziel, nach einer ergiebigen Rast, wurde die Stadt Herakleia erklärt.
    Die Priester lasen die Messe für all jene, die auf dem Weg nach Jerusalem zu Tode gekommen waren. Ihnen war Vergebung aller Sünden und die Aufnahme in den Himmel aller Gläubigen gewiss.
 
    Ein heißer Tag verging in erdrückender Lähmung. Stille und Bewegungslosigkeit kennzeichneten das Lager der Söldner vor dem Haupttor Ikonions. Tausende Tücher, Hemden, Wamse, Reiterhosen, Satteldecken, Lappen, Lumpen und Laken, Mäntel und Decken hingen an Seilen, Schnüren und Zeltstangen oder trockneten an Ästen und über Büschen. Das Wasser des Bachs hatte sich braun gefärbt, als die Kleidungsstücke aus dem heißen Wasser der Kessel zum Ufer geschleppt und ausgewaschen worden waren.
    General Tatikios saß halb schlafend unter dem Vordach seines Zeltes, die Füße bis zum Knie in einem Schaff voll kalten Wassers, das stündlich erneuert wurde. Er war ebenso erschöpft und müde wie jeder seiner Männer. Sein Schreiber Arcadios raschelte mit staubbedeckten Pergamenten. Die Kälte, die von den Zehen über Schienbeine und Waden in seinen Körper emporstieg, schien ihn an bessere Tage in Konstantinopel zu erinnern, denn er lächelte mit geschlossenen Augen.
 
    Das Haar über Chersalas Stirn und in ihrem Nacken war fünf Fingerbreit länger gewachsen und zur Farbe reifer Walnussschalen gebleicht, die Haut war sonnenverbrannt und glänzte vor Schweiß und Öl. Chersalas Gesicht war schmaler geworden; in den Augenwinkeln sah Rutgar winzige Falten. Er wusste, dass auch er selbst von den Entbehrungen und Leiden des Weges gezeichnet war, aber er hatte keinen Spiegel, in dem er sein eigenes Gesicht hätte sehen können - es sei denn, in Chersalas Augen, die ihn ebenso prüfend musterten wie er sie.
    Der Ritt über die Hochebenen hatte das Heer und jeden, der daran teilhatte, bis an die Grenze seiner Leidensfähigkeit getrieben - und viele darüber hinaus. In Rutgars Erinnerung vermengten sich die furchtbaren Tage und Nächte zu einem Albtraum, einem Zug der Sünder durch eine Landschaft mitten im Fegefeuer oder der Vorhölle.
    Die Kundschafter und Späherreiter, die sich meist abseits der Ritter und Pilgerscharen hielten, hatten samt ihrer Tiere nur überlebt, weil sie Berengers gnadenlosen Befehlen gehorchten und bisweilen winzige Quellen fanden. Viel zu wenig Wasser, um es mit den Pilgern teilen zu können, trotz

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