Jerusalem
behaglichem Nass, die langsam, Schicht um Schicht, zugleich mit Schweiß und geronnenem Blut den Schmutz ablöste, der sich wie ein Kettenwams um seinen Körper und sein ganzes Fühlen gelegt hatte und alle guten Gedanken begraben hatte wie schwefliger Morast. Trotzdem fühlte er sich beschmutzt und schuldig.
»Sag mir, Herr«, flüsterte er. Seine eigenen Worte verstand er kaum. »Sprich zu mir. Was soll ich tun! Du hast Wunderbares getan. An mir und Chersala. Wir leben, sind unversehrt. Was soll ich tun, Herr?«
Die Augen geschlossen, horchte Rutgar in sich hinein. Der Herr gab kein Zeichen. Die Nacht in Antiochia war unnatürlich still. Durch ein Fenster aus rankenartiger Holzschnitzerei drang ein Lufthauch herein. Er trug Schauerliches mit sich: kalten Rauch, Leichengeruch, ferne Schreie und gebrüllte Befehle, Fetzen eines christlichen Liedes aus vielen Kehlen, Hufgetrappel und, erstaunlicherweise, seltsam zirpende Musik und Trommelschläge. Ein zweiter Windhauch, kälter und nach nassem Gras riechend, traf Rutgars Gesicht. Er öffnete die Augen. Chersala, in einen riesigen weißen Mantel eingewickelt, der hinter ihren nackten Füßen die Feuchtigkeit der Bodenkacheln aufsog, trat ins Bad.
»Rück zur Seite, mein Held«, sagte sie leise. »Auch wenn uns nur wenig Zeit bleibt, sollten wir sie reinen Leibes verbringen.«
Mühsam tasteten sich Rutgars Gedanken in die Wirklichkeit zurück. Chersala ließ das Tuch zu Boden gleiten und glitt in das Badebecken. Auch dieses kostbar eingerichtete Badehaus, empfand Rutgar, war wie ein göttliches Wunder. Seine Geliebte machte wenige unbeholfene Schritte im warmen Wasser, fand vor seinen Zehen festen Grund und umarmte ihn. Rutgar dachte einige Atemzüge lang an den Versuch, die kleine Truppe und einen Teil der Bewohner dieser Häuser in einer geschützten Insel zu bewahren, dann aber erkannte er in Chersalas großen Augen, in plötzlicher Einsicht, dass sein Leben, sein Schicksal nicht nur durch goldene Ketten mit Chersala verbunden war, und dass sie unauflösliche Teile dieses blutigen, vorwärtsdrängenden Heerbanns blieben.
»Wir haben nicht viel Zeit«, sagte er.
Sie erwiderte leise: »Nützen wir sie, so gut wir es verstehen.«
Rutgar sehnte sich nach dem Zuspruch Berengers und dem Rat oder mindestens der Gegenwart seines Halbbruders Thybold. Er wusste nicht, ob er stark genug war, alle Fährnisse bis zur Einnahme Jerusalems und die Mühsal der Reise in die Provençe zu überleben. Durch den Dampf, der vom Wasser aufstieg, und über ihren Scheitel hinweg sagte er: »Chersala, Fürstin meines Herzens, Gefährtin ungehbarer Pfade, Trost aller meiner Tage und Nächte - morgen hat sich unsere Welt abermals geändert. Du und ich, wir werden auch Antiochia überleben.«
Ihre Hände glitten über seine Lenden; sie flüsterte an seinem Ohr. »Ja. Aber nur, wenn wir dem Wahnsinn der Ritter entgehen und uns beiseite halten.«
»Du sagst es.«
Sie genossen die Wärme des Bades. Furchtsame Sklaven walkten und kneteten sie später mit viel Öl und schoren Bart und Haar. Im obersten Stockwerk, wo ihre gewaschenen und ausgebesserten Kleider trockneten, schliefen sie aneinandergeschmiegt.
Dennoch zeigte ihnen der nächste Tag, dass die Stadt trotz geschlossener Tore alles andere als ruhig und sicher war.
Die Mauern der Zitadelle waren unbezwingbar; die Ritter und ihr Gefolge lagen erschöpft in ihren Quartieren. Der erste Tag nach der Eroberung verging mit dem Aufsammeln der Leichen, dem Löschen der letzten Schwelfeuer und der Suche nach Essbarem. Die Brunnen der Stadt waren unverdorben, sodass es genügend Wasser zum Reinigen der Kirchen gab, von denen die Peterskirche und die Marienkirche als Erste von Bischof Adhemar gesegnet und wieder geweiht wurden. Die Pfeile der Belagerten in der Zitadelle richteten so viel Schaden an, dass Bohemund einen fünf Ellen hohen Wall auftürmen ließ. Boten berichteten, das Heer der Ungläubigen wälze sich heran.
Kerboga, der Herrscher Mosuls, hatte die Heere von Damaskus und Jerusalem, dazu ein kleines Heer Araber, unter seinen Fahnen vereinigt. Zuerst belagerte er Edessa, vermochte es aber nicht einzunehmen, da sich Graf Balduin entschlossen verteidigte. Kerboga zog unverrichteter Dinge weiter und traf am 6. Tag des Brachmonds, drei Tage nach der Erstürmung, an der eisernen Brücke auf eine kleine Schar Verteidiger, die von seinen Kriegern niedergemacht wurden. Die Nord- und Ostseite der Stadt wurde von den Christen verteidigt,
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